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Was uns nicht gehört - Roman

Was uns nicht gehört - Roman

Titel: Was uns nicht gehört - Roman
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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einer Gartensitzgruppe aus Edelholz für 39,90 Euro warb. Vermutlich, so dachte ich, gehörten Menschen wie ich exakt zur Zielgruppe des Möbelhauses, Menschen, denen das Geld ausgegangen war, die aber noch immer auf einen Schlüsselreiz wie Edelholz ansprangen, und ich merkte, wie ich mir bereits begann, ein Leben zusammenzudenken, in dem eine Gartensitzgruppe eine Rolle spielte. Eine Gartensitzgruppe und ein Barhockerset mit Chromfüßen, für das auf einem anderen Plakat geworben wurde, und obwohl mir weder zu dem einen noch zu dem anderen wirklich etwas einfiel, wartete ich, bis das Möbelhaus öffnete, und ging mit den ersten Wartenden hinein.
    Gemeinsam stiegen wir die Treppe hinauf in den 1. Stock, wo die Möbelschau begann, und schon nach wenigen Minuten hatte sich der Anfangspulk zerstreut. Obwohl ich die Möbelhauskette nicht kannte, kamen mir die Ausstellungsstücke vertraut vor. Nichts was ich an anderem Ort nicht schon einmal gesehen hätte, ein senffarbener Fernsehsessel hier, eine rustikale Schrankwand dort, ein Modell wie das im Wohnzimmer meiner Eltern. Im zentralen Fach stand ein Plattenspieler, aber als ich darauf zuging, erkannte ich, dass es nur eine Attrappe war. Die Platten im Nebenfach freilich waren echt, darunter drei mit französischen Chansons, die mir nichts sagten, und erst, als ich das Ende der Reihe schon fast erreicht hatte, stieß ich auf ein Album mit gemischten Interpreten, zu denen auch Mireille Mathieu zählte. Aus unerfindlichen Gründen schauten alle Sänger aus den Bullaugen eines Schiffs heraus und schwenkten mit dünn gezeichneten Ärmchen bunte Phantasieflaggen, Mireille Mathieu die bunteste und größte von allen, doch auf der Songliste auf der Rückseite der Hülle war sie nicht zu finden. Ich wollte die Platte gerade herausnehmen, um auf ihr selbst noch einmal die Lieder zu überprüfen, als sich aus dem Nichts ein Mann neben mich schob und seine Hand auf meinen Unterarm legte.
    «Bitte», sagte er, «die Exponate nicht berühren.»
    Ich drehte mich um und sah in ein blasses Gesicht, das mich ein wenig an Loos erinnerte. Ja, dem Mann stand dieselbe Weinerlichkeit im Gesicht wie ihm, aber anders als Loos verfügte er über eine Physis, die einem die Luft nahm. Seine Hand freilich, die noch immer auf meinem Unterarm ruhte, wirkte filigran wie die eines Geigers, schlanke, haarlose Finger, die in keinerlei Verbindung zum Rest seines Körpers zu stehen schienen, doch als ich die Platte nach einigen Sekunden noch immer nicht zurück in die Schrankwand gestellt hatte, drückten sie zu, dass ich aufschrie.
    «Bitte», sagte der Mann noch einmal in unverändertem Tonfall, «die Exponate nicht berühren.»
    Ich nickte und versuchte mich erfolglos aus seinem Griff zu winden, und erst, als der vordere Teil meines Unterarms bereits taub zu werden begann, ließ er unvermittelt von mir ab und eilte davon. Mein Arm schmerzte, und obwohl ich ihn auf meinem Weiterweg an einem kleinen Springbrunnen kühlte, erkannte ich noch Minuten später in der Kinderabteilung jeden einzelnen Finger seiner Hand. Ich war der Aufforderung des Mannes nicht nachgekommen und trug die Platte wie einen Einkauf unter meinem Arm, und als ich sie auf einem Kinderstuhl sitzend noch einmal unter die Lupe nahm, entdeckte ich, dass sie tatsächlich mit einem Preisschild des Möbelhauses ausgezeichnet war.
    Schwatzend zog eine Gruppe Frauen an mir vorbei, die mich nicht beachteten, Frauen, die aussahen, als arbeiteten sie für eine Krankenkasse oder eine Versicherung, und die keinen Blick für die ausgestellten Möbel hatten. Vielleicht, so dachte ich, waren sie kinderlos oder die Kinder waren bereits aus dem Haus oder die Kindermöbel des Möbelhauses galten unter Kennern als minderwertig, und noch bevor der Kinderstuhl unter mir zusammenbrechen konnte, stand ich auf und ging weiter. Die Platte ließ ich in einem Jugendregal zurück, das schmucklos neben einem schmucklosen Schreibtisch stand, und als ich einige Ecken weiter erneut auf die Frauen stieß, waren sie stumm und saßen aneinandergereiht auf den Barhockern von den Parkplatzplakaten und drehten sich sanft auf ihnen hin und her.
    «Bitte», fragte ich einen Möbelhausmitarbeiter, der unweit der Frauen über einer Liste mit endlosen Zahlenkolonnen grübelte, «wo geht es denn zur Gartenabteilung?»
    «Geradeaus», erwiderte der Mann, ohne von seinen Zahlen aufzusehen, «wenn Sie zu den Teppichen kommen, sind Sie zu weit.»
    Ich nickte und folgte seinem Arm,
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