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Was uns nicht gehört - Roman

Was uns nicht gehört - Roman

Titel: Was uns nicht gehört - Roman
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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Sie das alles verstanden?»
    Ich nickte und sah zum Fenster und suchte in der Scheibe nach meinem Spiegelbild, und als ich es nicht fand, senkte ich meinen Blick zum Heizkörper und weiter zu einem Paar Halbschuhen darunter, das dort mit Zeitungen ausgestopft zum Trocknen stand. Auf einer der zerknüllten Seiten erkannte ich den Rand einer Todesanzeige, auf einer anderen ein Bein mit Fußballschuhen, irgendwo summte ein Türöffner.
    «Herr Epkes?», hörte ich ein wenig fern die Stimme des Polizisten.
    Ich nickte. Warum um alles in der Welt, dachte ich, stopfte ein Mensch nur seine Schuhe mit Todesanzeigen aus? So etwas tat man doch nicht. Langsam hob ich meinen Blick, die Lamellen des Heizkörpers entlang zum Fenster, zu meinem fehlenden Spiegelbild und schließlich zurück zu dem Polizisten, in dessen Zügen sich in der Zwischenzeit ein Hauch von Ungeduld eingenistet hatte.
    «Ja», sagte ich, fester, als ich meine Stimme selbst erwartet hatte, «ich habe alles verstanden.»
    Dann nahm ich den Zettel, den er mir über den Tisch zuschob, und notierte darauf meine Handynummer, und als er sie zur Kontrolle in sein Telefon tippte und es kurz darauf in meiner Hosentasche vibrierte, sagte er: «Gut, dann war es das für den Moment.»
    Ich stand auf und ging hinaus, und obwohl ich keine wirkliche Erinnerung mehr daran hatte, wie ich in sein Zimmer gekommen war, fand ich zurück zum Ausgang, ohne mich einen einzigen Meter zu verlaufen. Der Regen hatte aufgehört, und auch der Wind hatte sich nahezu vollständig gelegt, und als ich zurück auf der Straße war, schien mir sogar die Sonne ins Gesicht. Ich blieb einen Moment stehen und schloss die Augen. Ja, ich hatte verstanden, was der Polizist mir gesagt hatte, insbesondere dass ich die Stadt nicht verlassen durfte, bis es Klarheit über Marias Tod gab. Darüber hinaus aber verstand ich nichts. Nicht, dass Maria mir eine erfundene Gefängnisgeschichte erzählt hatte, und noch weniger, dass sie in Wahrheit überhaupt nicht Maria hieß. Geheißen hatte, korrigierte ich meinen Gedanken, immerhin das hatte meine Realität in der Zwischenzeit erreicht, und als ich wieder am Altersheim ankam, war ich auf eigentümliche Art und Weise überrascht, dass ihr Camping-Bus noch immer unverändert auf seinem Platz stand. In meiner Vorstellung waren Maria und ihr Wagen unauflöslich miteinander verschmolzen, das eine ohne das andere nicht denkbar, wie also konnte es sein, dass er noch immer hier stand, während Maria irgendwo in der Stadt auf einem Seziertisch lag?
    Schon von weitem sah ich, dass der Wagen versiegelt war. Zögerlich näherte ich mich, und nachdem ich die Tür schließlich erreicht und einige ratlose Sekunden davorgestanden hatte, erbrach ich das Siegel und trat ein. Meine Augen brauchten einen Moment, bis sie sich an das Halbdunkel des Wagens gewöhnt hatten, dann erkannte ich die Kreidemarkierung auf dem Boden, dort, wo Maria gelegen hatte, ein schludrig gezogener Umriss, der nur mit einiger Phantasie an einen Menschen erinnerte. Ohne meinen Blick von der Kreidelinie abzuwenden, setzte ich mich auf die Kante des Betts, und erst, als ich Minuten später wieder vom Boden aufsah, bemerkte ich, dass die Polizei den Wagen durchsucht hatte. Ein paar Schubladen waren herausgezogen und wirkten durchwühlt, und als ich schließlich aufstand und nach vorne ging, lagen dort über den gesamten Fußraum verteilt Marias Kassetten. Ich sammelte sie auf und packte sie zurück ins Handschuhfach, und nachdem ich auch die restlichen Spuren der Polizei beseitigt hatte, setzte ich mich zurück aufs Bett und weinte. Noch einmal sah ich hinunter zu der Kreidelinie, die einmal Maria gewesen war, und einem plötzlichen Impuls folgend, kroch ich von der Bettkante auf den Boden und legte mich in sie hinein. Ich korrigierte meine Position immer wieder, bis ich mir sicher war, dass mich die Markierung komplett umschloss, geradeso, als sei sie soeben erst gezogen worden, um mich gezogen worden, und obwohl mir der Morgen und der Moment, da ich Maria gefunden hatte, so nur noch deutlicher vor Augen stand, wurde ich nach und nach ruhiger und hörte schließlich ganz auf zu weinen.
    Als ich einige Stunden später aufwachte, lag ich nackt auf dem Bett. Ich konnte mich nicht erinnern, vom Boden aufgestanden zu sein, und schon gar nicht daran, mich ausgezogen zu haben. Meine Kleidung lag verstreut, als wäre ich in Eile gewesen, draußen war es noch hell. Ich fror und griff nach der Decke neben mir, und
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