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Was uns nicht gehört - Roman

Was uns nicht gehört - Roman

Titel: Was uns nicht gehört - Roman
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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Straßenrand, um im Wagen nach ihr zu suchen. Noch einmal durchkramte ich alle Schränke und Schubladen, und nachdem meine Suche auch unter dem Bett erfolglos geblieben war, hielt ich statt der Mütze auf einmal Marias Perücke in den Händen. Ja, ich hielt sie, hielt sie in beiden Händen und war bereits kurz davor, sie zu Marias Pullover in meine Tasche zu legen, als ich es mir anders überlegte und sie aufsetzte. Sie passte, als wäre sie eigens für mich angefertigt worden, und als ich mich damit im Spiegel betrachtete, fand ich, dass sie mir nicht einmal schlecht stand. Ich setzte mich zurück ans Steuer und fuhr weiter, und erst, als mir die Müdigkeit begann, die Augen zuzudrücken, lenkte ich den Wagen zwischen zwei Dörfern auf einen Feldweg und stellte den Motor ab, und nachdem ich die Türen von innen verriegelt und noch einmal alle Scheiben kontrolliert hatte, ging ich im Dunkeln nach hinten.
    Wie bei unserer ersten gemeinsamen Nacht im Bus vor sieben Tagen hatte ich keine Vorstellung davon, wo ich war. Vielleicht nicht weit von dem kleinen Waldstück, an dessen Rand wir gestanden hatten, vielleicht auch Hunderte Kilometer entfernt, ich wusste es nicht. Das einzige, was ich wusste, war, dass ich Maria vermisste. Ich vermisste ihr Lachen und ihren froschgrünen Pyjama und all das, was uns gehörte und was uns nicht gehörte. Ihre Perücke noch immer auf dem Kopf, setzte ich mich aufs Bett. Trotz der Dunkelheit konnte ich ihre Umrisse auf dem Boden erkennen, und obwohl die Linien auch weiterhin nichts Menschenähnliches hatten, sah ich Maria genau vor mir. Bäuchlings mit nach hinten abgewinkeltem Arm, den Kopf leicht zur anderen Seite gedreht, eine Kraulschwimmerin, die gerade Luft holt, um schon im nächsten Moment mit einem kraftvollen Zug ihres Arms wieder einzutauchen, und nur ihre Beine, die eigentümlich eingeklemmt an ihrem Bauch klebten, passten nicht ins Bild. Ich ließ mich nach hinten fallen und schob mich hinüber auf Marias Seite, den Blick zu den Büchern gerichtet, und auf einmal bereute ich es, sie neu sortiert zu haben, ihnen Marias Ordnung entrissen zu haben, ihre Ordnung oder Unordnung, gleichwie.
    Nur mit Mühe fand ich Schlaf, und als ich mitten in der Nacht aufwachte, brauchte ich einige Zeit, um zu mir zu kommen. Der Wagen wackelte ein bisschen, der Wind, dachte ich, schon wieder der Wind, aber schon im nächsten Moment hörte ich von draußen Stimmen. Undeutlich nur, zudem in einem schwer zu entwirrenden Durcheinander, aber zweifellos Stimmen, Stimmen, die zu dem Wackeln des Wagens gehören mussten, und von einer Sekunde auf die nächste war ich hellwach. Ich richtete mich auf und sah nach vorn zur Windschutzscheibe, gegen die sich ein Gesicht presste, das offenkundig gerade versuchte, etwas im Inneren zu erkennen, in der Hand ein Feuerzeug, dessen Schein, so hoffte ich, nicht bis zu mir reichte. Unfähig, mich zu bewegen, sah ich ein zweites Gesicht auftauchen, das ein wenig von der Flamme beleuchtet wurde, genug, um in ihm einen jungen Mann mit flusigem Bart zu erkennen, «egal», hörte ich eine Stimme durch die Wand des Wagens, «wir gehen da rein.» Die beiden Gesichter verschwanden, und als ich kurz darauf ein metallenes Schaben an der Tür vernahm, kam mit einem Mal Leben in mich. Ich warf die Bettdecke zur Seite und hastete an dem Schaben vorbei nach vorne und drückte mich durch die Lücke zwischen den Sitzen hindurch hinters Lenkrad.
    Noch bevor ich mit meinen zittrigen Fingern den Schlüssel im Zündschloss zu fassen bekam, sah ich durchs Seitenfenster in das Gesicht des Flusbärtigen.
    «Scheiße», hörte ich ihn gedämpft durch die Scheibe rufen, «da ist ne Transe drin!»
    Sofort hörte das Schaben am Schloss auf, und drei weitere Gesichter tauchten um mich herum auf, alles junge Kerle, die weit mehr nach Dorf als nach Schwerstkriminellen aussahen und die mich anstierten wie einen seltenen Salamander in einem Terrarium. Ich drehte den Schlüssel im Schloss und wartete endlose Sekunden, bis das Vorglühsymbol erlosch, und als ich schließlich startete und losfuhr, versuchte keiner mich aufzuhalten. Im Gegenteil glaubte ich aus dem Wenigen, das ich von ihren Gesichtern noch wahrnahm, einen Anflug von Erleichterung herauszulesen, Erleichterung, dass auch sie ohne größeren Schaden aus einer Sache herauskamen, die ohne Plan über sie gekommen war. Trotzdem jagte ich Marias Wagen mit durchschlagenden Stoßdämpfern den Feldweg entlang, nicht wissend, wo er hinführte, und
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