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Was uns nicht gehört - Roman

Was uns nicht gehört - Roman

Titel: Was uns nicht gehört - Roman
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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erst als er schließlich nach einigen Minuten in eine holprige, aber immerhin geteerte Straße einmündete, ging ich vom Gas und traute mich wenig später sogar anzuhalten und für einen Moment Luft zu holen. Ich schwitzte und nahm Marias Perücke ab, mit der ich eingeschlafen und wieder aufgewacht war, und nachdem ich mir ausgiebig den Kopf gekratzt hatte, setzte ich sie mir gegen jede Vernunft wieder auf. Vielleicht gab sie ja auch mir einen Rest von Schutz, der mich vor Schlimmerem bewahrte, und selbst wenn ich für den Moment nicht wusste, wovor genau ich beschützt werden wollte, ertrug ich das Kopfjucken, das mit dem Aufsetzen von Neuem begann, und fuhr weiter.
    Als ich am Morgen die Augen aufschlug, war es bereits hell. Ich lag im Bett einer Raststätte, an der ich kaum eine Stunde nach dem Zwischenfall auf dem Feldweg vorbeigekommen war und die mich davor bewahrt hatte, noch einmal in dieser Nacht auf freiem Feld zu campieren. Zwar hatte ich keine Vorstellung davon, wie ich die Rechnung für die Übernachtung bezahlen sollte, aber vorsichtshalber hatte ich den Wagen schon einmal in Fahrtrichtung an der Straße geparkt, unverschlossen, auch das hatte ich bedacht. Ich griff nach meinem Handy auf dem Nachttisch, um nach der Uhrzeit zu sehen, und fand einen Anruf darauf. Eine Nummer, die ich nicht kannte, und ich zweifelte keinen Moment daran, dass sie dem grauen Polizisten gehörte, der bereits am frühen Morgen versucht hatte, mich zu erreichen. Vielleicht, um mich noch einmal ins Präsidium zu bestellen, vielleicht aber auch, um mir mitzuteilen, dass ich die Stadt wieder verlassen dürfe.
    Ich löschte den Anruf und ging hinunter in den Frühstücksraum, in dem nur noch ein einziger Tisch gedeckt war, aber als ich mich gerade setzen wollte, kam ein hagerer junger Mann aus der Küche geeilt, um mir mit heiserer Stimme mitzuteilen, dass ich zu spät sei, «um zehn», sagte er, «ist Schluss hier.» Mit einer gespielten Geste des Bedauerns machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand in einem Nebenraum, dessen Tür er eilig hinter sich schloss, und als ich kurz darauf zum Wagen ging, um dort, wie ich an der Rezeption vorgab, mein Geld zu holen, schöpfte niemand Verdacht.
    Ich war überrascht, wie geschmeidig mein Abgang verlief, überrascht von mir und meiner Chuzpe, vor dem Starten des Wagens auch noch Marias Perücke aufzusetzen, ohne dabei auch nur ein einziges Mal zum Eingang zu sehen, und erst, als ich bereits auf der Straße war und noch einmal in den Rückspiegel blickte, entdeckte ich darin den hageren Mann aus dem Frühstücksraum, der wild fuchtelnd hinter mir her rannte, wie sinnlos, dachte ich, das schafft er doch nie.
    Zum ersten Mal seit meinem Aufbruch in Bingen schaute ich auf die Tankuhr und sah, dass sie auf Null stand. Der Zeiger ruhte auf einem kleinen Anschlagstift, und ich versuchte mich zu erinnern, ob ich ihn jemals in einer anderen Stellung gesehen hatte. Gut möglich, dass die Anzeige defekt war, gut möglich auch, dass ich auf dem nächsten Kilometer stehen blieb, so oder so waren meine Tage in Marias Bus gezählt. Noch einmal klingelte mein Handy. Ich spürte den Vibrationsalarm in meiner Tasche, aber ich machte mir nicht die Mühe, es herauszunehmen, und als ich es später doch tat, las ich Sonjas Namen auf dem Display. Ich zögerte, und als ich schließlich die Wähltaste drückte, dauerte es nach dem Freizeichen keine Sekunde, bis ich ihre Stimme hörte.
    «Wo bist du», fragte sie, ohne eine Begrüßung von mir abzuwarten, «was ist los mit dir?»
    «Mit mir?», fragte ich zurück.
    «Ja, mit dir, Paul Epkes», schnaubte sie ins Telefon, «mit dir! Du tauchst einfach ab, ohne auch nur ein Sterbenswörtchen zu hinterlassen, und meldest dich kein einziges Mal. Und abheben tust du auch nicht, wenn man dich anruft, das ist scheiße, Epkes, einfach nur scheiße.»
    Ich hatte den Wagen auf einem Kiesstreifen am Straßenrand geparkt, in einiger Entfernung ein paar Häuser, die sich vor einem Hügel zusammenduckten, keine Menschen, keine Tiere. Auf dem Hügel lag ein kleiner Sonnenfleck, der sich langsam bergauf bewegte, «schön», sagte ich, «es ist schön hier.»
    «Epkes!», schrie Sonja ins Telefon. «Verdammt, mir geht es schlecht, und du bist nicht da.»
    Ich sah die Straße entlang, an deren Ende ich ein Auto auftauchen sah, das rasch näher kam, aber noch bevor es mich erreichte, bog es in Richtung der Häuser ab, wo es vor einer Scheune anhielt, ohne dass ich jemanden
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