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In der Hitze der Stadt

In der Hitze der Stadt

Titel: In der Hitze der Stadt
Autoren: Roger Aeschbacher
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    Andi Baumer saß an seinem Bistrotischchen auf dem Mikrobalkon seiner Wohnung und blickte über die weiten Gleise des Bahnhofs Basel SBB. Es war nur wenige Minuten nach sieben Uhr morgens, doch längst hatte sich der Schotter der Gleisbette durch die frühe Sommersonne aufgewärmt. Die aufsteigende heiße Luft ließ die Schienenstränge wie hinter Milchglas verschwimmen. Zum Glück wirkte die kleine Abkühlung der Nacht noch nach, so dass Baumer sich lieber auf seinem kleinen Balkon aufhielt, als in seiner Wohnung. Die hatte sich in den letzten Tagen mächtig aufgeheizt, da tropische Luft aus Afrika über Basel hängen geblieben war und die Stadt gnadenlos im Griff hielt.
    Baumer hatte in der Hitze der Hochsommernacht nur unruhig geschlafen, war immer wieder aufgewacht. Sein ärmelloses Unterhemd hatte er sogar wechseln müssen, so ungehörig verschwitzt war es gewesen. Am Morgen hatte sich dann auch das zweite Hemd völlig mit Schweiß vollgesaugt. Nur mit einer Turnhose bekleidet, hatte er es sich mit einem starken schwarzen Kaffee auf dem Balkon bequem gemacht.
    Der Kriminalkommissar der Kantonspolizei Basel-Stadt machte die Beine lang und streckte die Zehen seiner ungewöhnlich großen Füße durch das Metallgeländer des engen Balkons. Vom Butterbrot mit Kirschmarmelade, das er sich gestrichen hatte, nahm er nur einen Bissen, legte das Brot wieder weg. Er hatte keinen Hunger. Es war schlicht zu heiß.
    Baumer fuhr sich mit den Fingern durch die stoppeligen mahagonifarbenen Haare. Dann legte er die Arme auf sein kleines Bäuchlein, doch sogleich rutschten sie schwer herab. So ließ er sie eben hängen. Auch sein Kopf glitt matt nach hinten und fand erst an der Steinwand neben der Balkontür Halt. Zufrieden ließ es sich der müde 48-Jährige gefallen, dass seine noch feuchte Haut von einem kaum wahrnehmbaren Luftzug sorgsam gekühlt wurde.
    Der Windhauch kam vom Schienenfeld des Bahnhofs her, das sich unter seinem Balkon ausstreckte. Es roch wegen des Abriebs von Schienen, Bremsen und Oberleitungen leicht metallisch, was bei Baumer, wie immer, wenn er diese Luft in der Nase hatte, sogleich Fernweh auslöste. Immer gab es auf Baumers Balkon mindestens diesen kleinen Luftzug. Er wurde durch die Personenzüge und Rangierloks bewegt, die zu aller Zeit ein- oder ausfuhren. Fuhr gerade kein Zug, heizten sich die blanken Schotterbette in der direkten Sonne stärker auf als die umliegenden Gebäude. Dann stieg die erhitzte Luft flirrend hoch, sog neue, kühlere nach. Auch jetzt kam der Windhauch einzig von nachströmender Luft, denn die Pendler waren zur siebten Stunde des Tages bereits unterwegs, und keine Bahn verabschiedete sich nach irgendwo.
    Der Kommissar fühlte sich auf seinem Kleinstbalkon wie ein Stellwerker aus früherer Zeit, als sie noch hoch über den Schienen in Kästen aus Metall und Glas saßen. Er sah die fast zwei Dutzend Gleise auf ebenem Feld verwaist daliegen. Das Bild erinnerte ihn an ein Stillleben des späten 19. Jahrhunderts.

    Nature Morte.

    Andi Baumer liebte diese Eindrücke in den ersten Morgenstunden. Die Intercitys waren alle weg und es würde einen Moment dauern, bis neue wichtige Züge einführen. Der Lärm machte Pause bis 7 Uhr 22.
    »Wie schön doch die Welt ist«, dachte er in seinem Horst und glitt ob seines Glücks in einen Zustand sicheren Seins.
    Noch bevor der Kommissar sich bewusst war, was ihn erschreckt und seine Aufmerksamkeit erregt hatte, krallte er seine Hände in die Lehnen seines Stuhls, riss die Augen auf. Ohne Ansatz, übergangslos, fuhr er hoch, alle Fasern des Körpers angespannt. Baumer starrte einen langen Moment ins Nichts, alle Sinne konzentriert. Es war der Reflex eines Tieres.
    Als sein Hirn wieder zu funktionieren begann, wurde ihm bewusst, was ihn aufgeschreckt hatte. Von der Straßenseite her hatte er ein ungewöhnliches, ein merkwürdiges Geschrei wahrgenommen. Dieser Lärm war in seinen Körper eingedrungen und hatte ihn hochschnellen lassen, noch bevor sein Verstand die Geräusche hatte einordnen können.
    Baumer fokussierte ganz und gar auf den Lärm, hielt sogar den Atem an, um besser hören zu können, was von der Straße auf der Vorderseite des Hauses bis zu ihm heraufdrang.
    Es war kein Krach, wie man ihn bei einem erregten Gespräch hört. Den hätte er gar nicht erst wahrgenommen, ihn überhört, weil er solchen Radau in seinem Quartier gewohnt war. Bei vielen scharfen Zurufen hätte er nur auf einen Streit unter Nachbarn geschlossen. Wären
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