Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince

Titel: Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
Autoren: Cassandra Clare
Vom Netzwerk:
PROLOG
DIE GEÄCHTETEN TOTEN
    Dichter Nebel dämpfte jedes Geräusch und verhüllte die Sicht. Nur dort, wo sich die Schwaden gelegentlich lichteten, konnte Will Herondale die dunkle, allmählich ansteigende Straße erkennen; sie glänzte regennass. Und er konnte die Stimmen der Toten hören.
    Nicht alle Schattenjäger vermochten das Flüstern der Geister wahrzunehmen - es sei denn, die Geister legten Wert darauf, gehört zu werden -, aber Will zählte zu den wenigen Nephilim, die diese besondere Gabe besaßen. Als er sich dem alten Friedhof näherte, schwollen die Stimmen zu einem rauen Chor an, heulend und flehend, schreiend und knurrend. Diese Begräbnisstätte war alles andere als friedvoll, was Will jedoch nicht weiter beunruhigte - er besuchte den »Cross Bones Graveyard« in der Nähe der London Bridge schließlich nicht zum ersten Mal. Angestrengt bemühte er sich, das gespenstische Heulen zu ignorieren: Er zog die Schultern hoch, klappte den Mantelkragen über seine Ohren und eilte mit gesenktem Kopf weiter, während der feine Sprühregen seinen schwarzen Haarschopf durchnässte.
    Der Eingang zum Friedhof befand sich auf halber Strecke des Straßenzugs: ein doppelflügeliges, schmiedeeisernes Tor in einer hohen Steinmauer. Allerdings war das gesamte Areal vor den Augen irdischer Passanten sorgfältig verborgen - diese sahen nur überwuchertes Brachland, das zu einem nicht näher benannten Baugrundstück gehörte. Als Will sich dem Tor näherte, trat noch etwas aus dem Nebel hervor, das kein Irdischer hätte erkennen können: ein massiver Bronze-Türklopfer in Gestalt einer Hand mit knochigen Skelettfingern. Mit spöttischer Miene nahm Will den Türklopfer, hob ihn an und ließ ihn schwer herabfallen - einmal, zweimal und ein drittes Mal, wobei jedes Mal ein hohles, metallisches Klirren durch die Nacht hallte.
    Jenseits des Tors stiegen wabernde Schwaden aus dem Boden empor und verdeckten das Schimmern der herumliegenden Gebeine auf dem unwirtlichen Untergrund. Dann verdichtete sich der Dunst allmählich und begann, in einem unheimlichen Blau zu leuchten. Will legte die Hände um die Gitterstäbe des Tors; die Kälte des Metalls sickerte durch seine Handschuhe, drang ihm bis ins Mark und ließ ihn erschaudern. Bei den Frostwogen, die ihn umhüllten, handelte es sich jedoch nicht um eine herkömmliche Kälte: Aufsteigende Geister bedienten sich der Energie ihrer Umgebung, entzogen der Luft sämtliche Wärme. Will richteten sich die Nackenhaare auf, als sich der blaue Dunst langsam formte und die Gestalt einer Frau annahm - eine gebeugte Greisin in einem zerlumpten Kleid mit weißer Schürze.
    »Hallo, Molly«, begrüßte Will die Alte. »Sie sehen heute Abend wieder besonders entzückend aus, wenn ich das einmal bemerken darf.«
    Die gespenstische Erscheinung hob den Kopf: Die alte Molly war ein starker Geist, einer der stärksten, denen Will je begegnet war. Selbst im fahlen Mondlicht, das durch eine Lücke in der Wolkendecke fiel, erschien die Greisin kaum transparent. Ihr Körper wirkte nahezu massiv; gelblich graue Haare hingen in einem dicken Zopf über ihre Schultern und sie hatte die rauen, geröteten Hände in die breiten Hüften gestemmt. Nur ihre Augen schienen hohl - zwei blaue Flammen flackerten in ihren Tiefen.
    »William Herondale«, keckerte sie. »Schon zurück?« In einer für Geister typischen Weise glitt sie auf das Tor zu. Ihre nackten Füße starrten vor Dreck, obwohl sie den Boden nicht ein einziges Mal berührten.
    Will lehnte sich gegen das Tor. »Ach, Sie wissen doch, wie sehr mir Ihr hübsches Gesicht gefehlt hat.«
    Molly grinste, ihre Augen flackerten und Will konnte den Schädel unter der durchscheinenden Haut erahnen. Die Wolkendecke über ihnen hatte sich nun geschlossen und verdeckte den Mond vollständig.
    Gedankenverloren fragte Will sich, was die alte Molly wohl verbrochen haben musste, um hier bestattet zu sein, weit entfernt von geweihter Erde. Ein Großteil des Wehklagens, das um sie herum zu hören war, stammte von Prostituierten, Selbstmördern und Totgeburten - jenen geächteten Toten, die nicht in einem Kirchhof begraben werden durften. Allerdings verstand es Molly, ihre Lage auf recht lukrative Weise für sich zu nutzen, also machte es ihr vermutlich kaum etwas aus.
    Die Alte lachte nun leise in sich hinein und fragte: »Was soll’s denn heute sein, mein kleiner Schattenjäger? Malphas’ Gift? Ich hätt da auch noch ’ne Klaue von Marax, sehr schön poliert, das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher