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Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah
Autoren: Stef Penney
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Geschäft, das ich in diesem Fall nicht gut betrieben habe. Vor allem aber komme ich mir vor wie ein Idiot. Dumm. Ein dummer Hund, der zu lange den falschen Baum angebellt hat. Ich bin mir sicher, dass sich auch Lulu dumm vorkommt. Es ist demütigend, belogen zu werden. Herabsetzend. Und je länger man belogen wird, desto schlimmer ist es, wenn man mit der Wahrheit konfrontiert wird.
    Ich betrete das Treppenhaus und stapfe hinauf zu meiner Wohnung. Meine Schritte sind laut und schwer, der Schlüsselklappert im Schloss. Auch die Wahrheit tut weh, hat Lulu gesagt; mag sein, dass sie wehtut, doch auf lange Sicht ist sie trotzdem besser – oder nicht?
    Im Licht der Deckenlampe sieht die Wohnung klein und schäbig aus. Weil sie gemietet ist, habe ich mir nie große Mühe gegeben; ich habe immer gedacht, Jen würde mich vielleicht zurücknehmen. Daran habe ich mich geklammert. Jetzt nicht mehr. Ich hätte längst nach vorn blicken müssen. Mir etwas Richtiges suchen. Etwas Dauerhaftes. Wo ich nicht ständig andere Leute anstarren muss, die an mir vorbeifahren.
    Später liege ich wach im Bett. Der Krug mit den toten Blumen steht noch auf der Kommode. Ich betrachte Gegenstände im Dämmerlicht; man hat mir gesagt, das helfe gegen Schlaflosigkeit, aber heute Nacht wird mir wohl nichts helfen können. Habe ich gehofft, ich könnte sie mit meiner Enthüllung beeindrucken? Irgendwie schon. Aber ich habe nicht bedacht, was es für sie bedeutet: dass Tene und Christina aus Verzweiflung und Trauer gehandelt hatten, weil sie nicht mit ansehen wollten, wie die Familie ausstirbt.
    Sie hätten alles gegeben, um Ivo zu retten, aber sie konnten nichts tun. Sie flehten um ein Wunder und wurden nicht erhört. Und dann starb Ivo in jener einsamen Moorlandschaft, kurz nachdem sie aus Lourdes zurückgekehrt waren. Sie gab ihr Leben für seines, auf die einzige Weise, in der ihr das möglich war.
    Verrückt. Oder vielleicht war gerade das das Wunder.
    Ich vermute auch, dass sie bereit war, ihr Leben der festen Strukturen und Unterwerfung gegen ein Leben voller Lügen einzutauschen. Was hatte Sandra über Christina gesagt? Dass sie furchtlos war. Ja. Vielleicht. Vielleicht war es der Ausweg, nach dem sie schon gesucht hatte.
    Und hatte Tene mir das auf seine ganz besondere Weise nicht schon erzählt? Das neunte Kind, Poreskoro – weder Mann noch Frau, sondern beides. Es erklärt viele Dinge über Ivo – die glatteHaut, die ich für ein Überbleibsel seiner Krankheit gehalten hatte, die dicke Kleidung, die Angst vor körperlicher Berührung … Und natürlich das, was mir in jener Nacht zugestoßen war.
    Poreskoro, das schrecklichste Kind von allen. Ich weiß, es ist eine ausgefallene These. Aber manche Dinge sind eben ausgefallen.
    Ich kann mich irren. Vielleicht ist Tene gar nicht Christos Vater. Das alles sind nur Vermutungen. Sicher weiß ich nur, dass die Leiche eines Zigeunerjungen auf dem Black Patch begraben liegt – und dass Christos Mutter eine Janko war. Das sind die Tatsachen.
    Doch alles andere ist kein Wissen – nur Schall und Rauch.

63
    JJ
    Unser neues Haus liegt in der Sunningdale Lane Nummer 23. Mir hat der Name sofort gefallen – er klingt nach einer Landstraße im Sommer, über die sich grüne Baumkronen wölben. Ruhig. Mit Mädchen, die auf Ponys dahintraben.
    So sieht es natürlich nicht aus – es ist ein Kasten aus roten Ziegelsteinen, umgeben von anderen Kästen aus roten Ziegelsteinen, an einer langen Straße, über die Busse fahren, so dass ziemlicher Verkehrslärm herrscht. Aber mein Zimmer (Gott, das hört sich irre an) geht nach hinten, und man schaut in den Garten (!), der ziemlich groß ist und an den Sportplatz meiner neuen Schule grenzt, so dass es nicht so laut ist. Ich kann das Fenster offen lassen und hören, wie die Zweige rascheln und die Vögel singen und sogar wie die Füchse bellen – und trotzdem sind wir praktisch in London, wenn auch nicht der Postleitzahl nach.
    Es ist echt komisch, in einem Haus zu wohnen. Mama hat schon einmal in einem Haus gewohnt – nachdem Großmutter und Großvater sie rausgeworfen hatten, weil sie mich bekommen hatte (also habe ich wohl auch dort gewohnt, obwohl ich mich natürlich nicht daran erinnere). Eigentlich ist es nur manchmal komisch und ansonsten (wenn ich ehrlich bin, die meiste Zeit) überhaupt nicht. Zuerst kam mir mein Zimmer riesig groß und öde vor – ich wollte die Tür gar nicht zumachen –, und ich hatte das Gefühl, ich könnte es niemals mit
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