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Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah
Autoren: Stef Penney
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meinen Sachen oder mir selber füllen. Aber jetzt sind erst ein paar Wochen vergangen, und ich bekomme dauernd mehr Zeug; irgendwie dehne ichmich aus. Wir haben überlegt, ein Klavier zu kaufen. Ich werde mein Zimmer himmelblau streichen.
    Ich gehe unheimlich gern nach oben ins Bett. Oder einfach nur so nach oben. Schaue aus dem Fenster. Man fühlt sich anders, wenn man weiter oben ist. So hoch ist es nicht; wenn es brennt, könnte ich auf den Rasen springen, ohne mir wehzutun. Darüber denke ich ziemlich oft nach. Ich träume von Feuer; richtige Albträume. Großonkel kommt nicht darin vor, das Feuer schon. Sie kommen nicht jede Nacht, nur manchmal. Dann wache ich schwitzend auf und bin froh, dass wir in der Stadt wohnen und nicht im Wald, denn es gibt immer ein bisschen Licht von den Straßenlaternen. Ich möchte nicht im Dunkeln aufwachen.
    Und noch etwas hat sich verändert: Chinesisches Essen mag ich nicht mehr.
    Christos Zimmer ist unten, damit er mit dem Rollstuhl reinkommt. Die Physiotherapie hat ihn aber schon kräftiger gemacht. Und er redet mehr, wenn auch noch nicht sehr viel. Sie glauben, er könnte die Krankheit haben, die in Holland entdeckt wurde. Es ist eine seltene Erbkrankheit, und sie wissen noch nicht viel darüber, aber es gibt immer Hoffnung. Die gute Nachricht ist, dass ich sie nicht habe und auch nicht bekommen werde, weil ich nicht damit geboren wurde. Darüber bin ich erleichtert, habe aber auch ein schlechtes Gewissen. Ich muss einfach dafür sorgen, dass Christo es richtig schön hat. Er kann den Rest seines Lebens bei mir bleiben. Das ist mir egal – eigentlich fände ich es sogar ziemlich gut. Es ist das Mindeste, was ich tun kann.
    Christo hatte gestern den letzten Termin. Als Lulu mit ihm zurückkam, war sie ziemlich durcheinander. Sie hat mit Mama geredet, und dann hat Mama zu mir gesagt, dass ich mit Christo in den Garten gehen soll, bis sie mir Bescheid gibt. Das hat sie noch nie gemacht. Allmählich verstehe ich, warum die gorjios so viele Geheimnisse haben. Dann knallte sie die Wohnzimmertürzu, und obwohl ich hören konnte, dass sie miteinander redeten, verstand ich nicht, was sie sagten. Zum Glück war es ein warmer Abend, und die letzten Schwalben schossen zwitschernd um die Stromleitungen. Wir gruben Regenwürmer aus und suchten unter dem Geräteschuppen nach Asseln und veranstalteten Rennen mit ihnen. Christo hätte sich noch stundenlang damit beschäftigen können, aber nach einiger Zeit kam Mama und sagte, wir sollten besser reinkommen, sonst würde sich Christo den Tod holen.
    Sie war den ganzen Abend in einer komischen Stimmung.
    Das war gestern Abend. Heute Morgen kommt Tante Lulu schon wieder. Es ist kurz vor neun, und ich bin noch zu Hause, weil Samstag ist. Ganz ehrlich, ich liege sogar noch im Bett, als es klingelt. Mama macht die Tür auf, und ich höre Tante Lulus Stimme – schrill und aufgeregt. Ich ahne, dass etwas im Busch ist, und schleiche im Pyjama nach unten. Diesmal sind sie in der Küche, die Tür ist zu, aber Mama glaubt wohl, ich würde noch schlafen.
    »Was? … Was?« Sie brüllt beinahe.
    »Das hat er gesagt. Dass sie vor einigen Jahren getauscht haben … und er sagt, es erklärt alles, wegen der Krankheit und … Allmächtiger Gott, San, ich habe fast den Verstand verloren …«
    Lulu hört sich plötzlich an, als würde sie weinen; das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen.
    »Aber wie kann das sein? Du kennst ihn doch besser als ich … Ich meine, es ist doch verrückt, oder?«
    Was Mama sagt, kann ich von der Treppe aus nicht hören. Wovon um Himmels willen reden die beiden? Ihr Tonfall verrät mir, dass es etwas Schreckliches sein muss. Ich will gerade zur Küchentür schleichen, als ich Mama zu meinem Entsetzen weinen hören; kleine, flatternde Schluchzer, die gar nicht mehr aufhören. Das ist zu viel. Ich lasse das Lauschen sein und mache die Tür auf.
    Lulu und Mama fahren herum und starren mich an. Beide sind ganz weiß im Gesicht und seltsam; Lulu hat die Arme fest um ihren Körper geschlungen, und ihr Gesicht sieht anders aus als sonst – weniger bunt und irgendwie müde. Mama hat sich die Haare gerauft, so dass sie in alle Richtungen abstehen. Sie hasst es, wenn sie so aussieht. Ich frage mich, ob ich auf Tante Lulu sauer sein soll, weil sie Mama an einem Samstagmorgen so durcheinandergebracht hat. Dann aber begreife ich, was an dem Geräusch nicht stimmt. Mama lehnt zitternd und mit wildem Blick am Herd, aber sie weint nicht. Sie
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