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Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah
Autoren: Stef Penney
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allerletzter Versuch, aber er hat nichts bewirkt. Ivo starb; vermutlich auf dem Black Patch, das weiß ich nicht so genau … Jedenfalls wurde er dort begraben, in aller Heimlichkeit, damit es niemand erfuhr. Und dann beschlossen sie untereinander, dass … dass Christina gestorben war. Ivo war der letzte Erbe der Jankos. Der einzige Junge – der, in den sie ihre Hoffnungen gesetzt hatten. Sie konnten es nicht ertragen, ihn zu verlieren.«
    Sie sagt noch immer nichts. Sieht mich nicht an. Ich weiß nicht, was ich sonst tun soll, also rede ich weiter.
    »Sie sahen einander sehr ähnlich, oder? Ich kenne die Fotos. Bis zur Hochzeit hatte Ihre Familie Tene und Christina, die man für Ivo hielt, jahrelang nicht gesehen. In dieser Zeit hatte sich die Person, die Sie alle für Ivo gehalten haben, angeblich von einem kranken Kind in einen gesunden Erwachsenen verwandelt – und dabei natürlich verändert. Es ist ungeheuer schockierend, aber nicht unmöglich.«
    Jetzt schaut sie mich an, empört. Sie spuckt die Worte förmlich aus. »Nicht unmöglich? Halten Sie uns für völlig bescheuert?«
    »Nein, natürlich nicht! Ich habe ja auch nichts bemerkt.«
    »Aber Kath und Jimmy und Sandra haben ihn jeden Tag gesehen! Sechs Jahre lang! Meinen Sie, sie hätten es nicht gemerkt?«
    Ich schlucke. Darauf hätte ich vorbereitet sein müssen.
    »Menschen akzeptieren, was sie sehen. Womit haben sie wohl gerechnet, als Tene wieder auftauchte? Sie wussten, dass seine Tochter gestorben und Ivo gesund geworden war … Wenn jemand offensichtlich etwas ist – akzeptiert man es doch, oder? Und wenn man es einmal akzeptiert hat … Ich vemute, er hatte mehr Angst, Leuten wie Ihnen zu begegnen, die er selten sah, als denen, mit denen er jeden Tag zusammen war.«
    Ich erkenne, dass sie widerwillig darüber nachdenkt.
    »Er hat geheiratet. Warum sollte er heiraten? Wenn er das … Geheimnis bewahren wollte.«
    Das ist der heikelste Punkt. Wenn ich richtig liege, ist die Wahrheit furchtbar. Plötzlich scheint es zu wenig Sauerstoff im Zimmer zu geben.
    »Wenn es stimmt, was Rose uns erzählt hat, ist sie Ivo niemals nahe genug gekommen, um etwas herauszufinden.«
    »Aber warum sollte er es dann tun? Das ist doch verrückt!«
    »Tene ging es um das wahre schwarze Blut, nicht wahr? Das reine Blut der Jankos. Sie haben wohl gedacht, wenn sie ein wirklich unschuldiges Mädchen mit der richtigen Abstammung fänden …«
    »Hören Sie auf! Hören Sie auf! Sie sollen … so was nicht sagen.«
    Ihre Stimme klingt schmerzhaft scharf, wie ein zerbrochenes Messer. Sie hat ihr nasses weißes Gesicht abgewendet.
    Ich warte, wage kaum zu atmen, schaue auf ihre Wange und wünsche mir, dass sie zu mir hersieht und irgendetwas sagt. Die Sekunden kriechen dahin.
    »Vielleicht wäre es möglich«, sagt sie dann leise, die Augen fest auf den Teppich gerichtet. »Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es eine schlaue Antwort, bei der alles zusammenpasst …« Sieholt tief und zitternd Luft. »Aber es ist nicht wahr … und Sie können Leute nicht einfach so beschuldigen.«
    »Ich will doch nicht … vielleicht … aber …«
    »Ich will, dass Sie gehen. Gehen Sie!«
    »Na gut. Es tut mir leid. Wirklich.«
    Sie dreht die kleine, tödliche Klinge in meinem Herzen fest herum. »Ich will, dass Sie uns in Ruhe lassen. Ich will Sie nie wiedersehen.«
    Nach einem kurzen Moment stehe ich auf. Sie sieht mich nicht an, als ich gehe.

62
    Ray
    Ein großer Fuchsrüde kreuzt meinen Weg, als ich auf meine Haustür zugehe. Außer ihm scheint niemand wach zu sein. In den Häusern brennt kein Licht. Keine Züge, keine Flugzeuge. Die Straße respektiert das tiefe, vollkommene Schweigen. Ich halte inne, die Schlüssel in der Hand, eingetaucht in das gelbe Licht der Straßenlaterne, das den Wolf fernhält. Niemand weiß, dass ich hier bin, weil niemand hinsieht. Es dämmert noch nicht, aber in der Stadt ist es trotzdem immer hell genug. Hell genug, um zu sehen, dass ein Fuchs ein Fuchs ist, ein Hund kein Wolf und ein Privatdetektiv eine furchtbare Fehleinschätzung begangen hat. Aber man muss schon hinsehen.
    Lulu hätte es früher oder später ohnehin erfahren müssen, sage ich mir. Genau wie alle anderen. Warum sollte ihnen die unschöne Wahrheit erspart bleiben? Es gibt Dinge, von denen sie nie erfahren müssen, wie die Verführung unter Drogeneinfluss, und es gibt Dinge, die man nicht wissen, sondern nur vermuten kann. Ich stelle Vermutungen an, weil das mein Geschäft ist. Ein
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