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Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Titel: Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
Autoren: Marian Keyes
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1
    D ie haben gesagt, ich wäre drogensüchtig. Das war wie ein Schlag in die Magengrube – schließlich gehörte ich zur Mittelschicht, war in einer Klosterschule erzogen worden und nahm Drogen ausschließlich zur Entspannung. Und Drogensüchtige waren doch dünner als ich, oder? Es stimmte schon, ich nahm Drogen, aber keiner schien zu verstehen, dass Drogen für mich das Gleiche waren wie für andere ein oder zwei Gläschen am Freitag nach Feierabend. Sie genehmigten sich womöglich ein paar Wodka Tonic und schlugen ein bisschen über die Stränge, und bei mir waren es eben eine Line Kokain oder zwei. Wie ich meinem Vater, meiner Schwester, dem Ehemann meiner Schwester und irgendwann auch den Therapeuten in Cloisters zu erklären versuchte: »Wenn man Kokain in flüssiger Form und in Flaschen abgefüllt kaufen könnte, würde sich dann einer aufregen, dass ich es nehme? Jede Wette, dass nicht!«
    Die Unterstellung, drogensüchtig zu sein, kränkte mich, denn ich war überhaupt nicht der Typ. Abgesehen von den Einstichstellen am Arm hatten Junkies wirres, fettiges Haar, liefen ständig frierend und mit hochgezogenen Schultern durch die Gegend, trugen Billigturnschuhe von Woolworth, hingen auf der Straße rum und waren, wie schon erwähnt, dünn.
    Ich war kein bisschen dünn.
    Nicht dass ich nicht dünn sein wollte. Ich habe jede Menge Zeit auf dem Stairmaster im Fitnessstudio zugebracht. Aber ich konnte Treppen steigen, so viel ich wollte, am Schluss siegten die Gene. Hätte mein Vater eine kleine zierliche Frau geheiratet, hätte ich vielleicht ein ganz anderes Leben gehabt. Mit Sicherheit hätte ich ganz andere Oberschenkel gehabt.
    So war es stattdessen mein Schicksal, dass die Leute über mich sagten: »Sie ist eine stattliche Erscheinung.« Und dann fügten sie rasch hinzu: »Nicht dick. Das will ich nicht gesagt haben!«
    Was indirekt heißen sollte, dass ich, wenn ich dick wäre, etwas dagegen tun könnte.
    »Nein«, sagten sie dann, »sie ist ein großes, kräftiges Mädchen. Kräftig, das trifft es genau.«
    Wie oft ich schon als kräftig bezeichnet worden war!
    Ich konnte das nicht mehr hören.
    Luke, mein Freund, hat mich manchmal als üppig bezeichnet. (Bei indirektem Licht und nach ein paar Gläsern Bier.) Mir gegenüber hat er das getan. Zu seinen Freunden hat er wahrscheinlich gesagt: »Ich will nicht sagen, dass sie dick ist ...«
    Die Sache mit der Drogensucht kam an einem Morgen im Februar auf, als ich in New York lebte.
    Ich hatte nicht zum ersten Mal das Gefühl, dass mein Leben in Versteckte Kamera lief. Ständig geriet es aus der Bahn, und ich glaubte schon lange nicht mehr, dass der liebe Gott, der für mich zuständig war, ein gütiger alter Mann mit langen Haaren und einem Bart war. Er war eher ein hämischer alter Spötter, und mein Leben war wie eine Theatervorstellung zur Unterhaltung der anderen Götter.
    »Wollt ihr mal sehen«, fragte er und lachte, »wie es Rachel geht, als sie denkt, dass sie einen neuen Job hat und ihren alten ruhig kündigen kann? Und sie weiß noch gar nicht, dass die neue Firma kurz davorsteht, pleitezugehen!«
    Schallendes Gelächter von den anderen Göttern.
    »Und jetzt könnt ihr euch anschauen«, kichert er, »wie sie sich mit ihrem neuen Lover treffen will. Habt ihr gesehen, wie ihr Absatz in einem Kanalgitter hängenbleibt? Jetzt ist er ab. Sie konnte ja nicht wissen, dass wir damit rumgespielt haben. Jetzt muss sie die restliche Strecke humpeln.«Wieder lachen die versammelten Götter ausgelassen.
    »Aber das Beste ist«, freut sich der liebe Gott, »dass der Mann, mit dem sie verabredet war, gar nicht erscheint. Er hat sich nur mit ihr verabredet, weil jemand mit ihm gewettet hatte. Guckt mal, wie unwohl sich Rachel in dieser vornehmen Bar fühlt. Und wie mitleidig die anderen Frauen gucken. Jetzt bringt ihr der Kellner eine enorm hohe Rechnung für das Glas Wein, aber das Heißeste kommt noch, denn Rachel hat ihr Geld zu Hause vergessen.«
    Brüllendes Gelächter.
    Die Ereignisse, die dazu führten, dass man mich für drogensüchtig hielt, waren die gleichen Versatzstücke einer himmlischen Farce wie der Rest meines Lebens. Und das kam so: Ich hatte es an einem Abend mit den aufputschenden Mitteln ein bisschen übertrieben und konnte nicht einschlafen. (Nicht dass ich zu viel nehmen wollte, aber ich hatte einfach die Qualität von dem Kokain unterschätzt). Da ich wusste, dass ich am nächsten Tag unbedingt zur Arbeit gehen musste, nahm ich ein paar
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