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Rollende Steine

Rollende Steine

Titel: Rollende Steine
Autoren: Terry Pratchett
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Wo soll es aufhören?
    In einer dunklen, stürmischen Nacht. Eine Kutsche ohne Pferd saust durch einen wackligen, nutzlosen Zaun und stürzt in die Schlucht dahinter. Sie prallt nicht einmal gegen einen Felsvorsprung, bevor sie tief unten im ausgetrockneten Flußbett zerschellt.
     
    Frau Anstand nahm ein anderes Blatt zur Hand.
    Es stammte von einem sechsjährigen Mädchen.
    Wie wir die Ferien ferbracht haben: Ich habe die Ferien ferbracht bei meinem Opa er hat ein groses weises Ferd und einen Garten er ist ganz schwarz. Wir haben Spiegelei mit Pommfritts gegessen.
     
    Das Öl der Kutschenlampen entflammt, und es gibt eine Explosion. Selbst Tragisches muß gewisse Traditionen beachten, deshalb rollt ein brennendes Rad aus dem lodernden Durcheinander.
     
    Ein anderes Blatt. Eine Zeichnung, angefertigt von einem siebenjährigen Mädchen. Ganz schwarz. Frau Anstand rümpfte die Nase. Nicht daß dem Kind etwa nur schwarze Stifte zur Verfügung gestanden hätten. Im Internat für junge Damen in Quirm herrschte kein Mangel an teuren Buntstiften.
     
    Stille folgt auf das Knacken und Zischen der letzten Glut.
    Ein Beobachter beobachtet.
    Schließlich dreht er sich um und sagt zu jemandem in der Dunkelheit:
    JA, ICH HÄTTE ETWAS UNTERNEHMEN KÖNNEN.
    Dann reitet er fort.
     
    Einmal mehr kramte Frau Anstand in den Unterlagen. Unruhe und Nervosität plagten sie – typische Empfindungen von jemandem, der viel mit diesem besonderen Mädchen zu tun hatte. Meistens sorgte das Papier dafür, daß sie sich besser fühlte. Weil es verläßlicher war.
    Und dann die Sache mit dem… Unfall.
    Frau Anstand sah sich dann und wann mit der Notwendigkeit konfrontiert, solche Nachrichten zu übermitteln. Das gehört zum Berufsrisiko, wenn man ein großes Internat leitet. Die Eltern vieler Mädchen waren häufig geschäftlich unterwegs, und manchmal gingen sie Geschäften nach, die einerseits hohen Profit versprachen und andererseits das Risiko mit sich brachten, unsympathischen Leuten zu begegnen.
    Frau Anstand wußte, worauf es in solchen Situationen ankam. Es war eine schmerzliche Angelegenheit, die ihren vorherbestimmten Lauf nahm. Verblüffung, Schock und Tränen ließen sich nicht vermeiden, doch irgendwann ging es zu Ende. Früher oder später wurden alle damit fertig. Im Bewußtsein von (mehr oder weniger) intelligenten Wesen schien es eine Art Drehbuch zu geben – das Leben ging weiter.
    Dieses Kind aber hatte einfach nur dagesessen und Frau Anstand mit Höflichkeit entsetzt. Sie war keine unfreundliche Frau, obwohl sie im Verlauf von vielen Jahren auf dem Herd von Bildung und Erziehung ausgetrocknet war. Allerdings legte sie großen Wert auf Gewissenhaftigkeit und – wie ihr Name bereits andeutet – Anstandsformen. Sie wußte, wie es ablaufen sollte, und deshalb ärgerte sie sich, als es nicht so ablief.
    »Äh… wenn du allein sein möchtest, um zu weinen…«, sagte sie in dem Versuch, die Dinge in die richtige Richtung zu lenken.
    »Würde das etwas helfen?« fragte Susanne.
    Es hätte Frau Anstand geholfen.
    Sie war nur imstande gewesen zu bemerken: »Ich frage mich, ob du meine Worte wirklich verstanden hast.«
    Das Mädchen hatte an die Decke geblickt, als hätte es ein schwieriges Algebraproblem zu lösen. Schließlich erwiderte es: »Ich glaube, ich werde sie verstehen.«
    Susanne schien bereits über alles Bescheid gewußt und sich damit abgefunden zu haben. Frau Anstand hatte die Lehrerinnen gebeten, Susanne aufmerksam im Auge zu behalten. Das sei sehr schwierig, bekam sie zur Antwort, weil…
    Jemand klopfte so zaghaft an die Tür des Arbeitszimmers, als wollte er eigentlich gar nicht gehört werden. Frau Anstand kehrte in die Gegenwart zurück.
    »Herein«, sagte sie.
    Die Tür schwang auf.
    Susanne verursachte nie ein Geräusch. Die Lehrerinnen hatte darauf mehrmals hingewiesen. Es sei unheimlich, meinten sie. Das Mädchen erscheine immer dann, wenn man überhaupt nicht damit rechnete.
    »Ah, Susanne.« Ein unsicheres Lächeln huschte über Frau Anstands Gesicht wie ein nervöses Zucken in der Miene eines Schafs. »Bitte setz dich.«
    »Ja, Frau Anstand.«
    Frau Anstand schob die Blätter hin und her.
    »Susanne…«
    »Ja, Frau Anstand?«
    »Es betrübt mich sehr, feststellen zu müssen, daß du schon wieder Unterricht versäumt hast.«
    »Ich verstehe nicht, Frau Anstand.«
    Die Rektorin beugte sich vor. Sie gestand es sich nur sehr ungern ein, aber… dem Mädchen haftete etwas Abstoßendes an. In der Schule
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