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Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Titel: Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
Autoren: Marian Keyes
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Abendessen gab es bestimmt Wein. Und vielleicht war es solchen wie mir, die kein ernstliches Problem hatten, erlaubt, abends in den nächsten Pub zu gehen.
    Ich würde in einer schlichten ehemaligen Mönchszelle wohnen: Steinfußboden, gekalkte Wände, ein schmales Bett mit hölzernem Gestell; und durch die Abendluft würden die fernen Klänge gregorianischer Gesänge zu mir dringen. Und natürlich gäbe es ein Fitnessstudio. Jeder weiß, dass körperliche Betätigung das beste Mittel für Alkoholiker und Konsorten ist. Am Ende meines Aufenthalts wäre mein Bauch hart wie ein Brett. Zweihundert Sit-ups pro Tag. Endlich einmal Zeit für mich! Und bei meiner Rückkehr nach New York sähe ich so toll aus, dass Luke mich auf Knien bitten würde, wieder zu ihm zurückzukommen.
    Bestimmt würde es auch irgendeine Therapie geben. Eine richtige Therapie, meine ich, keine Cellulitis-Behandlung. Wo man sich auf die Couch legt und über seinen Vater erzählt, so in der Art. Dagegen hätte ich nichts. Ich selbst würde natürlich keine Therapie machen. Aber es wäre sicherlich interessant zu sehen, wie die richtigen Drogensüchtigen, die mit den Anoraks und den strähnigen Haaren, wieder zu Fünfjährigen wurden. Ich würde gereinigt, erfrischt und wie neugeboren Cloisters wieder verlassen. Alle, die im Moment alles Mögliche an mir auszusetzen hatten, wären plötzlich hellauf begeistert von mir. Das alte Ich gäbe es nicht mehr, das neue Ich wäre voller Energie und Tatendrang.
    »Meinst du, ehm, sie kriegt Entzugserscheinungen?«, fragte Margaret Brigit, als wir uns für die Fahrt durch den Schnee zum Flughafen bereit machten.
    »Mach dich doch nicht lächerlich«, regte ich mich auf. »Ihr übertreibt doch alle maßlos. Entzugserscheinungen, so ein Quatsch. Das kriegt man doch nur bei Heroin.«
    »Und Heroin nimmst du nicht?«, fragte Margaret.
    Ich verdrehte vor Empörung die Augen.
    »Wie soll ich das denn wissen?«, schrie sie mich an.
    »Ich muss aufs Klo«, sagte ich.
    »Ich komme mit«, erbot sich Margaret.
    »Auf keinen Fall.« Ich rannte los, kam vor ihr an und knallte ihr die Tür vor der Nase zu.
    »Verpiss dich«, schrie ich hinter der Tür. »Sonst fang ich an zu spritzen, nur um dich zu ärgern.«

    Als das Flugzeug startete, lehnte ich mich in meinen Sitz zurück und war überrascht, dass sich ein enormes Gefühl der Erleichterung in mir ausbreitete. Es war, als würde ich aus der Gefahrenzone ausgeflogen. Plötzlich war ich sehr froh, aus New York wegzukommen. In letzter Zeit war das Leben ziemlich schwierig gewesen. Und so einengend.
    Ich war pleite und hatte bei fast jedem, den ich kannte, Schulden. Beinahe hätte ich gelacht, denn in dem Moment klang ich wirklich wie eine Drogensüchtige. Ich meinte ja nicht solche Schulden. Aber ich hatte alle meine Kreditkarten bis an die Grenzen ausgeschöpft und von sämtlichen Freunden Geld geborgt.
    Die Arbeit als stellvertretende Geschäftsführerin in einem Hotel war immer schwieriger geworden. An manchen Tagen kam ich durch die Drehtür, um meine Schicht anzutreten, und wäre am liebsten laut schreiend wieder rausgerannt. Eric, mein Chef, war oft gereizt und schlecht gelaunt. Ich war oft krank gewesen und häufig zu spät gekommen. Worauf Eric noch unleidlicher wurde. Worauf ich natürlich noch öfter krank feierte. Bis mein Leben nur aus zwei Gefühlen zu bestehen schien: Verzweiflung, wenn ich arbeitete, Schuldgefühle, wenn ich nicht zur Arbeit ging.
    Als das Flugzeug über Long Island durch die Wolken stieß, dachte ich: Eigentlich müsste ich jetzt arbeiten. Aber ich bin hier, und darüber bin ich froh.
    Ich schloss die Augen, und unwillkürlich musste ich an Luke denken. Der anfängliche Schmerz der Zurückweisung war ein wenig gewichen, stattdessen merkte ich jetzt, wie sehr er mir fehlte. Wir hatten so gut wie zusammengelebt, und seine Abwesenheit war wie ein dumpfer Druck. Ich hätte mir nicht erlauben sollen, über ihn und das, was er gesagt hatte, nachzudenken, denn ich merkte, dass es mich ein bisschen hysterisch machte. Ein fast unwiderstehlicher Drang, ihn auf der Stelle zu sehen, ihm seinen Irrtum zu erklären und ihn zu bitten, zu mir zurückzukommen, überkam mich. Einen solchen Drang in einem Flugzeug zu Beginn eines siebenstündigen Fluges aufkommen zu lassen, war sehr dumm. Ich unterdrückte mühsam das Verlangen, die Notbremse zu ziehen. Zum Glück kam die Stewardess mit den Getränken, und ich nahm einen Wodka mit Orangensaft ebenso dankbar
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