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Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah
Autoren: Stef Penney
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lacht.

64
    Ray
    In den folgenden Tagen versuche ich mehrmals, sie anzurufen. Ich sollte mich bei ihr entschuldigen. Einige meiner Vermutungen korrigieren. Aber ich weiß nicht, wie ich mich für die Wahrheit entschuldigen soll. Ich spiele mit dem Gedanken, mit Sandra zu reden; dann wieder denke ich, ich sollte bis zum nächsten Krankenhaustermin warten. Vielleicht ist Lulu dann nicht dabei.
    Ich habe seit dem Tag nicht viel gearbeitet, kann mich nicht konzentrieren. Und wann immer ich kurz davor bin, Hen alles zu erzählen, hält mich etwas davon ab. Irgendwann muss ich es tun, aber ich bringe es nicht über mich; vielleicht wegen der Fragen, die er unweigerlich stellen wird und auf die ich keine Antwort habe, obwohl ich sie haben sollte.
    Dann klingelt aus heiterem Himmel das Telefon; unglaublich, sie ist dran. Mir bricht der Schweiß aus.
    »Ich wollte Sie anrufen – mich dafür entschuldigen, dass ich es Ihnen auf diese Weise gesagt habe. Das war dumm von mir«, lege ich los.
    »Ja, das war es. Ich habe über alles nachgedacht … was Sie gesagt haben. Ich habe Sandra davon erzählt, und wissen Sie was? Irgendwann hat sie angefangen zu lachen. Sie sagt, dass sie es sich vorstellen kann. Sie kannte ihn besser als alle anderen – ich meine … Sie wissen, was ich meine.«
    »Ja. Oh. Na ja …«
    »Ich war so wütend … es war einfach … so ein Schock.«
    »Nein, nein. Ich hätte …«Wir verabreden uns im selben Pub wie zuvor. Es ist ruhig, mitten am Nachmittag – keine Zeit für ernsthafte Trinker. Zwei einsame Männer stehen wie Statuen an der Theke, Rauch steigt aus knorrigen Fäusten auf. Versprich dir bloß nicht zu viel, sage ich mir. Meine Fähigkeit, Dinge zu versauen, ist beachtlich. Dennoch hüpft und flattert die Hoffnung in meinem Inneren, in meinem Herzen, meiner Büchse der Pandora.
    Ich bin zu früh da und bestelle ein halbes Pint Lager. Ich trinke langsam, warte. Ich habe geduscht. Die Nägel geschnitten. Meine Hand zittert leicht. Als ich sie über die Straße kommen sehe, schaue ich zuerst auf ihre Füße. Sie trägt die roten Schuhe.
    Sie lächelt nicht, als sie mich sieht, und ich merke, dass auch sie nervös ist. Sie trägt das Haar offen in weichen Wellen. Mit leiser Erregung frage ich mich, ob sie beim Friseur war – für mich. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, dass ich sie jemals weniger schön gefunden habe als Jen, als irgendjemanden.
    Sie setzt sich neben mich. Ich schiebe ihr den Bacardi Cola zu, den ich wohlweislich schon bestellt habe.
    »Eigentlich sollte ich um diese Tageszeit nicht trinken.«
    »Na ja, es ist ein ungewöhnlicher Tag – eine ungewöhnliche Woche.«
    »Stimmt.«
    Sie nimmt ihre Tasche und sucht Zigaretten und Feuerzeug.
    »Geht es Ihnen gut?«, frage ich.
    »Allmählich gewöhne ich mich an die Vorstellung. Es fällt mir nicht so schwer – ich meine, ich habe ihn in den letzten zwölf Jahren nur ein halbes Dutzend Mal gesehen.«
    Sie korrigiert sich nicht, und ich sage nichts. Es ist leichter, Christina als »ihn« zu bezeichnen.
    »Was ist mit Kath und Jimmy? Wissen sie Bescheid?«
    Lulu verdreht die Augen.
    »Nein. Wir haben es noch niemandem erzählt. Wir wollten ein bisschen abwarten. Wenn es vielleicht mehr Beweise gibt –dass es wirklich Ivos Leiche ist oder so, dann wäre es weniger … verstehen Sie?«
    »Ja. Vielleicht. Aber Sandra glaubt es?«
    »Sie sagt, es erklärt viele Dinge, die sie nie verstehen konnte.«
    »War sie wütend?«
    »Das hatte ich eigentlich erwartet, aber ich habe mich geirrt. Die beiden standen einander ziemlich nah, und … Ich glaube, sie war in ihn verliebt. Deswegen war sie wohl traurig, aber jetzt versteht sie – warum er sie nicht wollte.«
    Sie zuckt mit den Schultern. »Wie gesagt, wir müssen uns alle daran gewöhnen.«
    »Ja. Vielen Dank.«
    »Wofür?«
    »Dass Sie gekommen sind.«
    Ich trinke einen Schluck Bier. Der Spielautomat hinter mir klingelt. Ein Rennkommentar im Fernseher über der Theke erreicht seinen flüchtigen Höhepunkt.
    »Was macht Ihre Hand?« Die Frage kommt unvermittelt.
    »Ganz gut.« Ich spreize die rechte Hand zwischen uns auf dem Tisch.
    »Machen Sie jetzt den Trick mit dem Messer?«
    »Nein.«
    »Können Sie wieder etwas fühlen?«
    »Ja, fast alles.«
    Sie legt ihre Hand auf meine. Ihre Handfläche ist warm und trocken. Ich drehe meine Hand unter der ihren herum. Als sie mich das letzte Mal berührt hat, konnte ich überhaupt nichts spüren.

65
    JJ
    Christo hat heute Geburtstag, und wir
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