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Black Jesus

Black Jesus

Titel: Black Jesus
Autoren: Simone Felice
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Lionel White
    LIONEL WHITE
    Als Black Jesus aus dem Krieg nach Hause kam, hing ihm eine fette Stevie-Wonder-Sonnenbrille im Gesicht. Nicht, weil es cool aussah. Darum ging’s nicht. Man hatte ihm die Brille verpasst, um die unschönen Krater zu verbergen, die die fiesen kleinen Plastikbomben in seine Augenhöhlen gerissen hatten. Er hatte in Bagdad gekämpft und in Sadr City. Er hatte unten am Fluss gekämpft und auf all den maroden Straßen dazwischen. Er hatte in der Red Zone gekämpft und in der Green Zone auch. Vor allem aber hatte er gegen die kleine Stimme in seinem Kopf gekämpft, die ihm zuflüsterte: Junge, was hast du hier eigentlich verloren?
    Debbie, seine dicke Mom, war in ihrem schrottreifen Chrysler Kombi die ganze Nacht gen Süden gefahren, zur »Marine Corps Air Station«. Nieselregen auf der Straße. Memorial Day. Nachdem sie sich auf der Besucherliste eingetragen und ihren Ausweis gezeigt hatte, wurde sie durch einen Flur zu einem Zimmer gebracht, wo ein Junge im Stuhl am Fenster saß. Sein versengter Kopf blickte nach draußen, wo die kalte Sonne, die er nun nie wieder sehen würde, wie eine Münze durch einen Automaten zu fallen schien. In diesem Moment legte sie ihre Hand auf seine aschfahlen Haare und sagte: »Wer hat dir das nur angetan?«
    »Mom?«
    »Ja, ich bin hier.«
    »Ich will nach Hause.«
    »Ich weiß, Liebling. Ich weiß, dass du nach Hause willst.«
    Es ist dunkel, als sie auf dem New York State Thruway nach Hause fahren und das Licht des wackeligen Scheinwerfers vor ihnen auf dem Asphalt tanzt. Sie dreht am Radio, bis sie ihre Station gefunden hat: »Kuschelhits und Melodien von Gestern«. Islands in the stream, that is what we are, no one in between, how could we be wrong, sail away with me to another world and we rely on each other, ah ha, from one lover to another, ah ha.
    Der Tacho zeigt 54 Meilen pro Stunde. Auf den Tempolimit-Schildern steht zwar 65, seit sie vor zwanzig Jahren die Geschwindigkeitsbegrenzung angehoben haben, aber das ist ihr egal. Debbie macht, was sie will – auch wenn nun alle Autos an ihrem Chrysler vorbeirauschen. Aus dem Radio plätschert leise und unaufdringlich die Musik, aber sie kann ihre Augen nicht auf der Straße halten, weil sie ständig zu ihrem Jungen rüberschauen muss – gleich neben ihr auf dem zerschlissenen Beifahrersitz, so steif und so schmächtig in seiner schicken Uniform. Und so jung. So gespenstisch und doch so greifbar nah.
    Sie passieren Exit 17. Sie greift nach seiner Hand.
    »Hat sich viel verändert, seit du weg bist, Lionel.«
    Er sagt nichts. Dann sagt er: »Was zum Beispiel?«
    »Oh, weiß nicht.«
    »Warum sagst du’s dann?«
    Sie schaut in sein Gesicht. Dann wieder auf die Straße. Nach einer Weile sagt sie: »Es gibt ein paar Dinge, die ich vergessen hatte, als wir telefonierten.«
    »Vergessen?«
    »Mhm.«
    »Okay, dann erzähl sie mir jetzt.«
    »Ich hab unser Haus abgebrannt.«
    »Was?«
    »Unser Haus.«
    »Es ist ein Trailer, Ma.«
    »Dann eben unser Zuhause. Ich hab unser Zuhause abgebrannt.«
    »Aus Versehen?«
    »Ja, aus Versehen.«
    »Glaub ich dir nicht.« Seine dunkle Brille starrt sie an.
    »Und warum nicht?«
    »Weil ich dich kenne, Ma. Du bist ein Zocker, du bist ein eiskalter Zuhälter.«
    »Lionel!«
    »Was?«
    »Wo hast du bloß solche Sachen aufgeschnappt?«
    »Weiß nicht. Da drüben halt. Von den Jungs dort.«
    »Wie kann man seine Mutter nur so nennen! So hab ich dich nicht erzogen, hörst du? Wenn ich dich so reden hör, möchte ich am liebsten in eine Tüte scheißen und mit der Faust draufschlagen.«
    »Sag mir einfach, was passiert ist.«
    Sie kann sich den Anflug eines Lächelns nicht verkneifen. Die massige Frau drückt ihre Knie gegen das Lenkrad, greift mit der freien Hand zur Fensterkurbel und dreht es hinunter. Sie hat seine Hand nicht losgelassen. Sie kann einfach nicht.
    Wie ein Messer schneidet die kühle Nachtluft hinein.
    »Das Dairy Queen hat den Geist aufgegeben.«
    »Was meinst du damit?«
    »Pleite. Ausgeschissen.«
    »Sie haben den Laden dichtgemacht?«
    »So sieht’s aus.«
    »Aber ich …«
    »Psst. Nicht traurig sein. Ich weiß, wie gerne du als Kind dorthin gegangen bist.«
    »Was hat das Dairy Queen mit unserem Zuhause zu tun?«, fragt er und zieht die Hand weg.
    Seine Mutter atmet tief durch. Dann sagt sie: »Alles. Das hat inzwischen alles mit uns zu tun, Süßer.«
    Er weiß nicht, was er darauf sagen soll.
    »Lionel? Bodenstation an Lionel?«
    »Nenn mich nicht mehr
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