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Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)

Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)

Titel: Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
Autoren: Antonia Günder-Freytag
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Rom, Vatikanstadt
    1. November 2012
     
     
     
    Am späten Nachmittag kamen die Untersekretäre und holten die Ablagekörbe ab.
    Pater Andrea Comitti war derjenige, der sich des Korbs für Prophezeiungen und Warnungen annahm. Seine Aufgabe war es, die Schreiben im Archiv einzuordnen. Er liebte diese Tätigkeit. Obwohl in den Kellergewölben tief unter der Vatikanstadt Elektrizität verlegt worden war, strahlten die Räume noch die – für ihn – behagliche Düsternis aus.
    Er hatte sein Büro in der dunkelsten Ecke eingerichtet und genoss es, von dort aus in die Gänge zu blicken, die übervoll von Schriften waren. Wie viele verrückte Gedanken waren dort versammelt! Welche Schicksale, die hinter den Schriften versteckt waren, gab es zu ergründen! Stunden verbrachte er damit, Briefe zu lesen. Stunden, um für die armen Seelen, die diese verfasst hatten, zu beten. Heute war der Eingangskorb relativ leer. Zum Jahrtausendwechsel war das anders gewesen. Er hatte Hilfe gebraucht, um die eintreffenden Briefe in die tief gelegenen Räume zu tragen und einzuordnen. Aber nun, zwölf Jahre nach dem Wechsel, hatten sich die Prognosen überlebt, nichts von alledem war eingetreten. Er dankte Gott dafür.
    Andrea Comitti machte die Lampe über seinem Schreibtisch an und setzte sich mit dem Eingangskorb hin. Seine Knie schmerzten. Er seufzte und rieb sich die müden Augen. Unmengen hatte er in seinem Leben gelesen. Nicht nur die Knie waren alt geworden, auch seine Augen. Der Arzt hatte ihm Tropfen verschrieben und ihm geraten ins Grüne zu sehen und weniger zu lesen. Er lächelte. Seit er ein junger Bursche gewesen war, las er. In seinem Theologiestudium hatte er ganze Abhandlungen über Theorien der Zwischenwelt verschlungen. Er war ein Gelehrter, wenn es sich um Aberglaube, Exorzismus oder Hexen handelte. Er liebte Geschichten von Vampiren und hatte, wie er glaubte, fast alles über sie gelesen. In verschiedenen Sprachen. Er beherrschte sieben davon.
    Heiliger Vater, …
    Comitti las die Zeilen, und da sie weiter keine Informationen über den Absender beinhalteten, legte er den Brief zusammen mit dem Stapel Papieren unter dem Buchstaben ‚A‘ wie Apollonia ab. Auf den langen Tisch mit seiner Erfindung war er stolz: Er hatte den Tisch mithilfe von buntem Klebeband in DIN A4 große Flächen eingeteilt und diese mit den Buchstaben des Alphabets gekennzeichnet. So ließ sich Zeit sparen. Zeit, die er zum Lesen nutzte. Als er alle Posteingänge sortiert hatte, machte er sich daran, sie einzusortieren.
    »Apollonia«, murmelte er vor sich hin. Er zögerte. Vorhin war es ihm so vorgekommen, als ob ihm der Name im Archiv schon mal begegnet wäre.
    Heilige Apollonia. Patronin der Zahnärzte, fiel ihm ein, als er mit dem Finger das Regal A entlangstrich. Zögernd griff er nach einem dicken Ordner, eher eine altmodische, durch das Alter mürbe gewordene Kladde. Er war mit der Umstellung und der Modernisierung noch lange nicht fertig. Wahrscheinlich würden noch ganze Generationen gebraucht, bis das Archiv des Vatikans je gesichtet war.
    Apollonia hatte, wenn es sich um diese Apollonia handelte, dem Vatikan unlängst geschrieben. Er nahm die Kladde und blätterte sie kurz durch. Wie es ihm auf den ersten Blick schien, waren alle Briefe von derselben Handschrift. Als er nach hinten blätterte, stutzte er: das Datum! Datiert anno 1751. Daneben das Siegel des Vatikans! Er nahm die Kladde, legte sie vorsichtig auf seinen Schreibtisch und verteilte die weiteren Posteingänge. War es möglich? Konnte es dieselbe sein?
    Er konnte sich kaum konzentrieren und musste ein paar Mal überprüfen, ob er die Post richtig einsortiert hatte. Doch er war ein Pedant. Bevor er sich mit einem Schreiben aufhielt, wurde erst die tägliche Arbeit vollendet. Als er mit seiner Tätigkeit fertig war, schlug er die Kladde von hinten auf. Der älteste Brief, vergilbt und rissig, war datiert anno 1695, er begann wie der letzte, der heutige: Heiliger Vater …
    Er war kein Schriftgelehrter, und doch war die Schrift für sein erfahrenes Auge identisch mit der Schrift des zuletzt Datierten. Der Inhalt war ähnlich, nur nicht so dringend. Er blätterte weiter: In unregelmäßigen Abständen hatte Apollonia an den Vatikan geschrieben. Zuletzt dringender. Der letzte Brief stammte aus dem Jahre 1941. Da hatte er hier noch nicht gearbeitet. Wie auch? Es war sein Geburtsjahr. Er lächelte. Lange saß er still über der alten Kladde und hielt den aktuellen Brief in der
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