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Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)

Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)

Titel: Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)
Autoren: Cordwainer Smith
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und heiter. Aber sie waren nie zu Scherzen aufgelegt.
    Was die Außenwelt nicht wusste, war, dass Stalin ihnen ein eigenes Projekt und ein Paradies verschafft hatte, das nur ihnen zur Verfügung stand, und gleichzeitig hatte er dafür gesorgt, dass eine Schlange mit ihnen Einzug in dieses Paradies hielt. Diesmal war die Schlange jedoch kein Einzel-, sondern ein Doppelwesen – sie bestand aus Gausgofer und Gauck.

II
    Stalin starb.
    Auch Berija starb – wenn auch unfreiwillig.
    Der Lauf der Welt nahm seinen Fortgang.
    Alles verschwand in der in Vergessenheit geratenen Stadt Ya.Ch., und nichts kam heraus.
    Doch es gab Gerüchte, wonach Bulganin Rogow und Cherpas besucht haben sollte. Ja, es wurde sogar gemunkelt, dass Bulganin bei seiner Fahrt zum Flughafen von Charkow, von wo aus er nach Moskau zurückfliegen wollte, gesagt hatte: »Es ist groß, groß, groß. Wenn sie es schaffen, wird es keinen Kalten Krieg mehr geben. Dann wird es überhaupt keinen Krieg mehr geben. Wir werden den Kapitalismus besiegt haben, noch bevor die Kapitalisten zu kämpfen beginnen. Wenn sie es schaffen. Wenn sie es schaffen.« Es gab Berichte darüber, dass Bulganin langsam und verblüfft den Kopf geschüttelt und nichts weiter gesagt haben sollte, sondern das unveränderte Budget des Projektes Teleskop mit seiner Unterschrift versah, als ihm ein zuverlässiger Bote das nächste Mal einen Brief von Rogow brachte.
    Anastasia Cherpas wurde Mutter. Ihr erster Junge sah aus wie sein Vater. Ein kleines Mädchen folgte. Dann noch ein kleiner Junge. Durch die Kinder wurde Cherpas’ Arbeit jedoch nicht unterbrochen. Sie verfügten über eine große Datscha und ausgebildete Kinderschwestern, die den Haushalt übernahmen.
    Jeden Abend speisten die vier gemeinsam.
    Rogow russisch, humorvoll, mutig, amüsiert.
    Cherpas älter, weiblicher, schöner denn je, aber genauso verletzend, genauso glücklich, genauso scharfzüngig wie immer.
    Aber dann die beiden anderen, die beiden, die ihnen im Lauf der Jahre Tag für Tag gegenübersaßen, die beiden Kollegen, mit denen sie durch das allmächtige Wort Stalins gestraft waren.
    Gausgofer war eine Frau: bleich, schmalgesichtig, mit einer Stimme, die an das Wiehern eines Pferdes erinnerte. Sie war Wissenschaftlerin und Polizistin und in beiden Berufen sehr tüchtig. 1917 hatte sie den Aufenthaltsort ihrer eigenen Mutter an das Terrorkommando der Bolschewiki verraten. 1924 hatte sie die Hinrichtung ihres Vaters befohlen. Er war ein Deutschrusse von altem, baltischem Adel gewesen, der versucht hatte, sich dem neuen System anzupassen, aber es war ihm nicht gelungen. 1930 hatte sie dafür gesorgt, dass ihr damaliger Geliebter ihr ein wenig zu sehr vertraute. Er war ein rumänischer Kommunist gewesen und hatte einen hohen Rang in der Partei eingenommen, aber in der Abgeschiedenheit ihres Schlafzimmers hatte er ihr flüsternd Geständnisse gemacht, während ihm die Tränen über die Wangen liefen; aufmerksam und stumm hatte sie zugehört und am nächsten Morgen seine Worte an die Polizei weitergeleitet.
    Dadurch war Stalin auf sie aufmerksam geworden.
    Stalin hatte barsch mit ihr gesprochen. Brutal hatte er sie gefragt: »Genossin, du hast Verstand. Ich kann erkennen, dass du weißt, um was es sich beim Kommunismus handelt. Du begreifst, was mit Loyalität gemeint ist. Du wirst weitermachen und der Partei und der Arbeiterklasse dienen – aber ist das alles, was du willst?« Er hatte ihr die Frage fast ins Gesicht gespuckt.
    Sie war so verblüfft gewesen, dass sie ihn mit offenem Mund angestarrt hatte.
    Der alte Mann hatte sein Verhalten geändert und sie mit lüsterner Großmütigkeit ausgezeichnet. Er hatte ihr mit dem Zeigefinger an die Brust getippt. »Studiere die Wissenschaften, Genossin. Studiere die Wissenschaften. Kommunismus plus Wissenschaft bedeutet den Sieg. Du bist zu klug, um im Polizeidienst zu bleiben.«
    Gausgofer war gegen ihren Willen stolz auf das teuflische Programm ihres deutschen Namensvetters, jenes verhutzelten alten Geografen, der die Geografie selbst in eine schreckliche Waffe für den Kampf der Nazis gegen die Sowjets verwandelt hatte.
    Gausgofer hätte sich nichts Schöneres vorstellen können, als sich in die Ehe von Cherpas und Rogow einzumischen.
    Gausgofer hatte sich in Rogow in dem Augenblick verliebt, als sie ihn zum ersten Mal sah.
    Gausgofer hasste Cherpas – Hass kann ebenso spontan entstehen und rätselhaft sein wie Liebe – von dem Moment an, als sie ihr
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