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Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)

Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)

Titel: Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)
Autoren: Cordwainer Smith
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sich vor gar nichts.
    Die meisten seiner Kollegen fürchteten sich voreinander, vor dem Sowjetsystem, vor der Welt, dem Leben, dem Tod.
    Vielleicht war Rogow einst gewöhnlich und sterblich wie die anderen Menschen und voller Angst gewesen.
    Doch jetzt war er der Liebhaber, der Kollege, der Ehemann von Anastasia Fjodorowa Cherpas.
    Genossin Cherpas war seine Rivalin, seine Gegenspielerin und Konkurrentin gewesen im Wettkampf um wissenschaftliche Anerkennung unter all den tollkühnen slawischen Pionieren der russischen Wissenschaft. Russische Wissenschaft konnte niemals die unmenschliche Perfektion deutscher Methoden, die rigide intellektuelle und moralische Disziplin deutscher Zusammenarbeit erreichen, aber die Russen konnten die Deutschen überflügeln und taten dies auch, indem sie ihrer kühnen, fantastischen Vorstellungskraft freien Lauf ließen.
    Rogow hatte 1939 die ersten Raketenwerfer entwickelt; Cherpas hatte die Arbeit vollendet, indem sie die besten dieser Raketen mit einer Funkfernsteuerung versah. 1942 war von Rogow ein völlig neues System zur fotografischen Luftaufklärung erarbeitet worden; Genossin Cherpas hatte dieses Verfahren auf Farbfilme übertragen. Rogow, blondhaarig, blauäugig, hatte lächelnd seine Kritik an Genossin Cherpas’ Naivität und Unzuverlässigkeit bei den streng geheimen Treffen der russischen Wissenschaftler während der dunklen Winternächte des Jahres 1943 vorgetragen; Genossin Cherpas, deren dottergelbes Haar ihr wie fließendes Wasser über die Schultern fiel, das ungeschminkte Gesicht vor Begeisterung, Intelligenz und Hingabe leuchtend, hatte die Herausforderung angenommen, seine Kommunismustheorien verlacht, seinen Stolz gekränkt und seine intellektuellen Hypothesen dort angegriffen, wo sie am verletzlichsten waren.
    1944 wären die Auseinandersetzungen zwischen Rogow und Cherpas eine Reise wert gewesen.
    1945 heirateten sie.
    Ihr Flirten fand im Verborgenen statt, ihre Hochzeit war eine Überraschung, ihr Zusammenleben galt als Wunder unter den hochrangigen russischen Wissenschaftlern.
    Die Emigrantenpresse berichtete über den Ausspruch eines großen Wissenschaftlers, Peter Kapitza: »Rogow und Cherpas – das ist ein Team. Sie sind Kommunisten, gute Kommunisten, aber sie sind mehr als das! Sie sind Russen. Sie sind russisch genug, um die Welt zu besiegen. Schaut sie euch an. Sie sind die Zukunft, unsere russische Zukunft!« Vielleicht war diese Bemerkung übertrieben, aber sie verriet den ungeheuren Respekt, der Rogow und Cherpas von ihren Kollegen unter den sowjetischen Wissenschaftlern entgegengebracht wurde.
    Kurz nach ihrer Hochzeit widerfuhren ihnen seltsame Dinge.
    Rogow blieb glücklich. Cherpas strahlte.
    Dennoch begannen beide, vorsichtig mit ihren Worten umzugehen, als ob sie Dinge gesehen hätten, die nicht durch Sprache ausgedrückt werden konnten, als wären sie über Geheimnisse gestolpert, die zu bedeutend waren, um sie selbst den zuverlässigsten Agenten der sowjetischen Staatspolizei zuzuraunen.
    1947 hatte Rogow ein Gespräch mit Stalin. Als sie Stalins Büro im Kreml verließen, begleitete ihn der große Führer persönlich zur Tür, die Stirn nachdenklich gerunzelt, und nickte: »Da, da, da.«
    Selbst sein persönlicher Stab wusste nicht, warum Stalin »Ja, ja, ja« sagte, aber sie sahen Anweisungen herausgehen mit den Vermerken NUR FÜR GEHEIMNISTRÄGER und ZUR KENNTNIS UND RÜCKGABE, NICHT ZUM VERBLEIB, die außerdem mit dem Stempel NUR FÜR AUTORISIERTES PERSONAL UND UNTER KEINEN UMSTÄNDEN VERVIELFÄLTIGEN versehen waren.
    In den öffentlichen und geheimen Sowjethaushalt dieses Jahres wurde durch direkte, persönliche Anweisung eines verschwiegenen Stalin ein Finanzposten für ein »Projekt Teleskop« hinzugefügt. Stalin ging auf keine Nachfrage ein, gab keinen Kommentar ab.
    Eine Stadt, die einen Namen besessen hatte, verlor ihn.
    Ein Wald, der frei zugänglich für Arbeiter und Bauern gewesen war, wurde zum militärischen Sperrgebiet.
    Im Zentralpostamt von Charkow wurde ein neues Postfach für die Stadt von Ya.Ch. eingerichtet.
    Rogow und Cherpas, Genossen und Liebende, beide Wissenschaftler und Russen, verschwanden aus dem Alltagsleben ihrer Kollegen. Auf keiner wissenschaftlichen Versammlung tauchten ihre Gesichter mehr auf. Nur selten wurden sie noch gesehen.
    Bei einem dieser seltenen Anlässe – gewöhnlich bei ihrer Hin- und Rückfahrt nach Moskau, wenn der jährliche SowjetHaushalt aufgestellt wurde – wirkten sie glücklich
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