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Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Titel: Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
Autoren: Marcus Imbsweiler
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1
     
    Eine Hand schnellte aus dem Regen auf mich zu und legte sich wie ein
Schraubstock um meinen Hals. Ihre Innenseite fühlte sich rau und feucht zugleich
an, und entweder war sie außerordentlich groß oder mein Hals ungewöhnlich dünn –
jedenfalls packten mich ihre fünf Finger so fest, dass ich keine Luft mehr bekam.
    »Na, endlich!«, hörte ich jemanden zischen.
    Es war Tischfußball-Kurt. Sein Gesicht schob sich vor meines. Schwaches
Licht einer entfernten Straßenlampe fiel über seine Züge. Seine Augen waren zusammengekniffen,
die Lippen ein Strich, der linke Mundwinkel zuckte nervös, wie unter Stromschlägen.
Und erst seine Haut! Auf seiner Halbglatze verdampften die Regentropfen, so glühte
sie.
    »Na, endlich!«, wiederholte er mit mühsam unterdrückter Wut.
    Ich versuchte, ihm meinen Hals mit einem Ruck zu entziehen. Keine Chance.
Kurts Hand war keine Hand, sondern eine Zange, aus deren Griff es kein Entrinnen
gab. Der Druck seiner Finger ließ einfach nicht nach.
    »Glaubst du mir jetzt, Max?«, keuchte er. »Ich habe es dir gesagt:
Irgendwann wird es hier Tote geben! Hundert Mal habe ich es dir gesagt, tausend
Mal! Aber nein, der Herr Privatdetektiv weiß es besser. Ist sich zu fein für den
Hasenleiser, was? Nimmt nur noch die Schnösel aus Neuenheim. Unsereins kann ja warten,
richtig? Aber jetzt haben wir den Schlamassel!«
    »I-diot!«, presste ich hervor. Mein Gesicht musste mittlerweile ebenso
rot angelaufen sein wie Kurts. Ich holte aus, um seinen Arm mit letzter Kraft zur
Seite zu schlagen, doch in diesem Moment ließ er los. »Bist du völlig übergeschnappt?«,
krächzte ich. Mehr gab mein schmerzender Kehlkopf nicht her. Wenn es eines Beweises
bedurft hätte, dass Kurt in seiner Jugend ein guter Rugbyspieler war, hier hätte
ich ihn gehabt.
    »Pass auf, was du sagst!«, schnauzte er zurück. Seine Äuglein funkelten.
»An deiner Stelle würde ich jetzt keine große Lippe riskieren. Ich bin so kurz davor,
dich zu vermöbeln. Verstehst du: so kurz!« Daumen und Zeigefinger, eben noch an
meinem Hals zugange, näherten sich einander, bis höchstens ein Blatt Papier dazwischenpasste.
Dabei zitterten sie. Nun bemerkte ich auch die Flecken in Kurts Gesicht. Seltsam,
so kannte ich ihn gar nicht. Ich kannte seine Wut, den üblichen Jähzorn, Sekundengrimm
eines Vulkans namens Tischfußball-Kurt. Aber hier war mehr. Etwas, was ich von meinem
Trinkkumpan aus dem Englischen Jäger nicht gewohnt war: Angst.
    »Mann, Mann, Mann«, stöhnte ich und betastete meine Kehle. Kurts Brustkorb
hob und senkte sich. Ja, er hatte Angst, der Depp. Aber warum?
    Hinter ihm wurde ein Mann sichtbar. Er kam über den Parkplatz auf uns
zu geschlurft, in der einen Hand einen Baseballschläger, in der anderen einen Regenschirm.
Trotz des Schlägers wirkte der Kerl nicht im Geringsten bedrohlich. Er war eher
eine Witzfigur: groß, leicht untersetzt, mit hängenden Schultern und auffällig dicker
Unterlippe. Sein Haar war so schütter, dass es kaum die Kopfhaut bedeckte; dafür
hatte er es wachsen lassen und im Nacken zu einem dünnen Zopf zusammengebunden.
Vom einen Ohr baumelte ein Ring mit silbernem Kreuz, die Augen waren rund und wässrig.
Und ganz unten lugten unter verwaschenen Jeans die furchtbarsten Pantoffeln hervor,
die mir jemals zu Gesicht gekommen waren. Das musste Fred sein, der Imbissbesitzer.
    »Seid doch mal ein bisschen leiser«, lamentierte der Typ. »Am Ende
läuft noch die ganze Nachbarschaft zusammen.«
    »Die Nachbarschaft schläft«, blaffte ich zurück. »Und was soll das
mit dem Schläger?«
    Er sah auf seine Hand herab, als bemerke er erst in diesem Moment,
was ihm da in die Finger geraten war.
    »Ach, der«, murmelte er. »Ich hab nix anderes, um mich zu verteidigen.
Der Knirps, dem ich das Ding abgenommen habe, war erst zwölf, aber besoffen wie
Harry.«
    »Klingelt’s jetzt, Max?« Das war wieder Kurt. Ein zackiger Knuff gegen
meinen Oberarm: »Hasenleiser ist Wildwest! Aber du hörst ja nicht auf mich.«
    »Und warum habt ihr mich nun gerufen? Mitten in der Nacht?«
    »Elf Uhr«, fuhr Kurt auf. »Seit wann ist das mitten in …«
    »Warum, Kurti?«
    Er schnappte nach Luft. Kurti mochte er nicht. Zumindest nicht in diesem
Zustand. Wenn mein Freund Kurt Schneider kurz vorm Explodieren steht – sein Normalzustand
–, braucht man ihn bloß Kurti zu nennen. Wie es seine erste Frau immer tat, bevor
sie mit seinem Geld durchbrannte. Wer sehr mutig ist, krault ihn noch hinterm Ohr.
Das
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