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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition)
Autoren: Susanne Gavénis
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nährte diesen Funken, ließ seine eigene Hoffnung, sein eigenes Vertrauen in Andion und die Zukunft hineinfließen, und endlich, endlich spürte er, wie sich die Krallen der Finsternis aus Andions Seele lösten und die kalte Berührung des Todes endgültig von ihm wich.
    In dem Moment, in dem der Takt ihrer Herzen einen synchronen Rhythmus erreichte, begann sich Andion in seinen Armen zu regen. Behutsam ließ Neanden ihn auf den Boden zurückgleiten. Nur eine Sekunde länger, und er hätte ihn nicht mehr festhalten können. Betäubende Schwäche erfüllte ihn, schien jeden einzelnen Muskel seines Körpers in Wasser verwandelt zu haben, und seine Arme zitterten so stark, dass vermutlich bereits das Gewicht einer neugeborenen Blütenfee ausgereicht hätte, um ihn endgültig in den Staub zu drücken. Doch das war ohne Belang. Er hatte Andion zurückgebracht. Das war das Einzige, was zählte.
    Staunend blickte er auf den Jungen hinab, und trotz seiner Erschöpfung glitt ein Lächeln über sein Gesicht. Andion würde leben. Bei allen Bäumen, er würde tatsächlich leben! Nun erst vermochte er wirklich daran zu glauben, dass der düstere Schatten Ogaires von ihnen gewichen, der letzte Rest seines Giftes aus ihren geschundenen Seelen herausgespült worden war. Sein Volk würde wieder heil werden. Ab heute gab es wieder eine Zukunft, auf die es sich zu hoffen lohnte.
    Neanden schloss die Augen, genoss für einen stillen, friedvollen Moment die Wärme der Sonne auf seiner Haut und die Berührung des Windes, der sanft durch seine schweißfeuchten Haare strich. Als er schließlich die Veränderung spürte, auf die er gewartet hatte, wandte er den Kopf, sah erneut auf Andion hinab – und blickte in die schimmernden grünen Tiefen zweier Augen, die unverwandt auf ihm ruhten.
    Andion lächelte schwach, noch immer erschöpft vom mörderischen Kampf gegen seinen Vater und der Heilung der Quelle, die um ein Haar seinen Tod bedeutet hätte, und doch wirkte er auf eine Weise befreit, wie Neanden es niemals zuvor bei ihm erlebt hatte.
    „Danke“, flüsterte er. „Danke, dass du mich nicht aufgegeben hast.“ Sein Blick kehrte sich nach innen, und er neigte den Kopf, als lausche er auf eine Stimme, die nur er zu hören vermochte. Als er ihn wieder anschaute, lag ein Ausdruck ungläubigen, beinahe ehrfürchtigen Staunens auf seinem Gesicht. „Bei allen Bäumen, Neanden! Was hast du getan?“
    Neanden spürte, wie sich sein Hals zusammenschnürte und seine Wangen vor Scham zu brennen begannen. Denn ebenso wie er in den vergangenen Minuten in Andions Erinnerungen, in seine Qualen, Sehnsüchte und seine Verzweiflung eingetaucht war, sie erlebt und durchlitten hatte, als wäre nicht Andion, sondern er selbst es gewesen, der 17 Jahre seines Lebens voller Furcht vor den unheimlichen grünen Augen seines Vaters wie eine Pflanze ohne Licht in der Dunkelheit vegetiert hatte, so hatte auch Andion den tiefsten, geheimsten Kern seines Wesens berührt, und seine eigenen Verletzungen, seine Trauer und sein Gram waren auf ewig zu einem unauslöschlichen Teil seiner Selbst geworden. Die Mauern um ihre Seelen waren niedergerissen, ihre Zinnen und Verteidigungsanlagen geschleift worden, und sie würden niemals wieder erneuert werden.
    Neanden wandte den Blick von ihm ab, wagte nicht, Andion noch länger in die Augen zu sehen. „Ich habe unsere beiden Lebensstränge miteinander verschmolzen“, sagte er leise. „Es war die einzige Möglichkeit, dich zu retten. Verzeih mir.“
    Er spürte, wie das Schimmern in Andions grünen Augen sich vertiefte, sein Blick noch intensiver auf ihm ruhte. „Ich nehme an, es handelt sich dabei um keine eurer üblichen Heilmethoden.“
    Neanden schüttelte den Kopf. Seine Wangen begannen noch heißer zu brennen. „Es ist eigentlich überhaupt keine Heilmethode. Normalerweise ist es Bestandteil unserer Hochzeitszeremonie. Zumindest war es das früher. Seit unser Volk zu sterben begann, hat sich die Tradition geändert.“
    Er fühlte Andions Überraschung – und sein Begreifen. „Das heißt, du hast nicht nur unsere Lebensstränge, sondern auch unsere Seelen miteinander verschmolzen? Du bist tatsächlich bereit, so viel mit mir zu teilen – sogar meinen Tod ?“
    Neanden starrte zu Boden. Sein Magen verkrampfte sich, wartete auf die bittere Anklage, deren Klinge sich gleich in ihn hineinbohren würde. Denn das war die Konsequenz dessen, was er getan, der Preis für die Zukunft, die er Andion geschenkt hatte. Von
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