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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition)
Autoren: Susanne Gavénis
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nun an bis zu ihrem letzten Atemzug waren sie so eng miteinander verbunden, dass der Tod des einen auch für den anderen das Ende bedeuten würde. Ihr Schmerz und ihre Qual, ihre Freude und ihre Erfüllung würden niemals wieder ihnen allein gehören, die Wunden, die das Schicksal in ihre Seelen geschlagen hatte, niemals wieder in völliger Dunkelheit bluten. Alle Finsternis und alle Schatten waren fortgeschmolzen worden, hatten sich aufgelöst wie Nebel, der die Wälder und Seen einer unbekannten Landschaft verbirgt; nur das Licht war geblieben.
    Er räusperte sich, versuchte seine Worte an der Stahlklammer vorbeizuzwingen, die seine Kehle zusammenpresste. „Diese Frage müsste ich eigentlich dir stellen. Ich habe mich in deine Seele gestohlen, ohne dir eine Wahl zu lassen.“
    Er wartete mit klopfendem Herzen, wagte noch immer nicht aufzusehen. Doch der Zorn, das Entsetzen und der Abscheu, die er befürchtet hatte, blieben aus. Stattdessen spürte er, wie Andion ihm beinahe behutsam eine Hand auf den Arm legte.
    „Du hast dein Leben riskiert, um das meine zu retten. Was für ein größeres Opfer könnte es für einen anderen geben? Und was könnte ich anderes tun, als ein solches Geschenk in Ehren zu halten?“
    Da endlich hob Neanden den Kopf, und sein Blick begegnete dem von Andion. Die Wärme, Güte und das Verständnis darin ließen unvermittelt Tränen in seine Augen steigen.
    Andion lächelte ihn an. „Wie sieht es aus, Neanden? Fühlst du dich kräftig genug für einen kleinen Fußmarsch? Ich denke, Ogaire hat uns bereits genug unserer Zeit gestohlen, findest du nicht?“
    Neanden erwiderte sein Lächeln. „Nichts könnte mich aufhalten.“ Er streckte Andion die Hand hin.
    Andion ergriff sie, und gemeinsam zogen sie sich vom Boden hoch. Als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, legte Andion einen Arm um seine Schultern, und nach einem kurzen Moment des Zögerns tat es ihm Neanden gleich. An den Körper des jeweils anderen gelehnt und sich gegenseitig Halt gebend, verließen sie die Lichtung, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen.
    Als sie schließlich das Dorf erreichten, sah Neanden, dass sie bereits erwartet wurden. Alle waren sie auf dem großen Versammlungsplatz vor der Ratshalle zusammengeströmt, das gesamte Volk der Elfen, um schweigend und mit bleichen, angespannten Gesichtern dem Ausgang des schrecklichen Kampfes zu harren, der noch vor wenigen Momenten um die Zukunft des Hains und aller seiner Bewohner gefochten worden war.
    Noch immer konnte Neanden den Schmerz spüren, der sich in ihre erschöpften, ausgezehrten Mienen gegraben hatte, Echo des grausamen Zaubers, mit dem Ogaire bei seinem Tod auch das schlagende Herz des Waldes zum Verstummen hatte bringen wollen. Doch neben dieser Schwäche und Erschöpfung, neben Furcht, Anspannung und Besorgnis fühlte er auch die Hoffnung in ihnen, zart und verletzlich wie eine Blume, die mit ihrem ersten grünen Spross durch das letzte Eis des Winters gebrochen und zum ersten Mal vom warmen Schein der Sonne berührt worden war. Sie wussten nicht genau, was auf der Lichtung geschehen war, sie wussten nur, dass die Flammen, die mit so jäher Vehemenz in ihren Körpern und ihren Seelen zu brennen begonnen hatten, plötzlich wieder erloschen waren, dass der Tod an ihnen vorübergegangen war, obwohl es nur noch einer winzigen Berührung bedurft hätte, um sie mit sich in die Dunkelheit zu nehmen. Dennoch wagten sie noch nicht wirklich zu hoffen, fürchteten sie zu sehr einen letzten, bösartigen Streich Ogaires, der sie für ihre Leichtgläubigkeit und Naivität verhöhnte, bevor er endgültig zum vernichtenden Schlag ausholte.
    Selbst der Anblick Andions vermochte es nicht, die Ketten aus Misstrauen und Angst zu lösen, die sie seit 90 Jahren gefangen hielten, doch immerhin schien auch ihr Bedürfnis, sich mit Fäusten und Knüppeln auf ihn zu stürzen und ihn für die Verbrechen seines Vaters büßen zu lassen, durch die Ereignisse des heutigen Morgens eine deutliche Abkühlung erfahren zu haben. Der Schock der Erkenntnis, dass Ogaire bereits seit Wochen unerkannt mitten unter ihnen sein Unwesen trieb, hatte sie offenbar bis ins Mark getroffen und derart gründlich demoralisiert, dass sie vermutlich selbst dann zu keiner koordinierten Verteidigungsmaßnahme in der Lage gewesen wären, wenn statt Andion und ihm tatsächlich Ogaire pfeifend und mit ihren beiden abgetrennten Köpfen in der Hand in ihr Dorf geschlendert wäre.
    Man machte ihnen
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