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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition)
Autoren: Susanne Gavénis
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Licht zurückzuziehen versuchte, noch erreichen zu können. Es war vorbei.
    Nein! Neanden presste grimmig die Lippen aufeinander, und seine Schultern strafften sich. Diesmal würde er nicht aufgeben. Diesmal nicht! Denn noch gab es eine Möglichkeit, Andion zu retten, eine winzige, allerletzte Hoffnung auf Leben, die weder seiner Tante noch seinem Vater vergönnt gewesen war. Es mochte sein, dass er selbst dabei starb, dass seine Seele zusammen mit der von Andion in die Finsternis gerissen wurde, aber das war bedeutungslos. Er würde diesen Ort nicht ohne ihn verlassen.
    Rasch löste er seine Hände von Andions Brust, umschlang ihn stattdessen mit beiden Armen und presste ihn fest an sich. Wieder öffnete er seinen Geist, doch diesmal war es nicht die Wärme, die er suchte, nicht das Licht seines Mitgefühls und seiner Liebe, das so lange unter der Asche seiner verlorenen Träume und zerstörten Hoffnungen begraben gewesen war. Er brauchte etwas anderes, Machtvolleres, brauchte mehr als die Hand, die blind und verzweifelt im Dunkel umhertastete. Und er wusste, wo er es finden würde.
    Sein Herzschlag wurde lauter und lauter, schien mit seinem Dröhnen das ganze Universum zu füllen, und er griff danach, tauchte hinein in den kraftvollen, pulsierenden Rhythmus, in den Strom des Lebens, der ihn mit der Quelle verband. Unendlich schwach, wie ein Flüstern von einem weit entfernten Ort, spürte er Andions Herzschlag an seiner Brust, und er ließ sich von ihm erfüllen, wurde eins mit ihm, eins mit dem winzigen, letzten Rest der Glut, die noch in seiner Seele glomm. Er fühlte, wie seine Lebenskraft zu fließen begann, wie sie sich in einem dünnen, rasch breiter werdenden Strom in Andion ergoss, eine Brücke schuf, ätherisch und zart und doch fester als jedes Band, das jemals zwischen seiner Seele und der eines anderen Wesens geknüpft worden war. Bilder und Erinnerungen spülten wie eine schäumende Woge über ihn hinweg, Erinnerungen, die nicht ihm, sondern Andion gehörten, und doch war es, als erführe er sie am eigenen Leib, als durchlitte er selbst all den Schmerz und die Qualen, die Andion in den wenigen kurzen Jahren seines Lebens bereits hatte erdulden müssen.
    Doch obwohl er es kaum ertragen konnte, ließ er ihn nicht los, ließ die Brücke zwischen ihnen nicht zusammenbrechen. Das Dröhnen seines Herzschlags wurde leiser, sein Takt langsamer und schwerer, gleichzeitig spürte er, wie das schwache, kaum noch wahrnehmbare Heben und Senken von Andions Brust um einen winzigen Hauch an Kraft gewann, wie der letzte kleine Funke, der noch in der erkaltenden Asche seines Lebens geblieben war, mit einem Mal nicht mehr so zittrig und trostlos in der Finsternis glomm wie noch einen Augenblick zuvor.
    Aber das war noch nicht genug. Noch immer war der Tod nur einige wenige Atemzüge entfernt, verhinderte nur seine verzweifelte Anstrengung, dass ihm der hungrige Mahlstrom das fragile Band zwischen ihnen abermals aus den Händen riss und Andions Seele endgültig von der Schwärze verschlungen wurde. Er presste den reglosen Körper noch fester an sich, öffnete seinen Geist so weit wie nie zuvor, hielt nichts zurück, gab sich den tosenden Fluten der Vitalität und Lebenskraft hin, die aus ihm hervorbrachen und von der am Abgrund taumelnden Seele Andions aufgesogen wurden wie Regen, der sich nach Monaten der Trockenheit über die Bäume und Gräser eines Waldes ergießt.
    Neanden spürte, wie das Herz des Jungen zunehmend kräftiger schlug, die klamme Kälte seiner Haut mehr und mehr einer zarten, lebendigen Wärme wich, während sein eigener Herzschlag, seine eigene Wärme immer schwächer und ferner wurden, von ihm fortrückten wie das Echo einer Erinnerung, die zu alt und verblichen war, um noch länger von ihrem Duft und dem Leuchten ihrer Farben berührt werden zu können. Und noch immer strömten die Bilder und Empfindungen aus Andions Vergangenheit auf ihn ein, eine Flutwelle aus Schrecken, Furcht und Verzweiflung, aus Hoffnungslosigkeit und Gram, ein düsterer schwarzer Schlund, in dem viel zu selten nur ein kleines, schwaches Licht zaghaft durch die Dunkelheit flackerte.
    Neanden suchte nach jenen seltenen positiven Momenten und hielt daran fest, hielt so eisern daran fest, dass auch Andion sie spüren musste. Und das tat er. Die Bereitwilligkeit, mit der er sich der Umarmung des Todes ergeben hatte, schwand, und zum ersten Mal fühlte Neanden, wie ein Funke echter Hoffnung und Zuversicht in ihm erwachte. Neanden
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