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Geschlossene Gesellschaft

Geschlossene Gesellschaft

Titel: Geschlossene Gesellschaft
Autoren: Robert Goddard
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    Das Glück war zu oft unser Verbündeter gewesen. Wir hatten uns zu sehr auf seine Treue verlassen. Deshalb war das erste Mal, an dem es uns im Stich ließ, auch der Moment, an dem wir es am wenigsten vermuteten.
    Max und ich lehnten an der Reling auf der verlassenen Steuerbordpromenade des Salondecks, rauchten Zigaretten und schauten auf den Fluss hinaus, der breiter wurde, während sich der Dampfer vom Ufer entfernte. Auf der dem Hafen zugewandten Seite winkte eine Traube von Passagieren immer noch ihren Freunden und ihren Familien, die sie hier in Quebec zurückließen, zum Abschied zu. Wir aber hatten kein Verlangen nach sehnsüchtigen Lebewohls. Max hielt eine aufgeschlagene zwei Tage alte Ausgabe des Wall Street Journal in der Hand, und die Schlagzeile eines Artikels verkündete in fetten Lettern den Grund, warum wir nur Augen für das offene Meer hatten: BABCOCK-BETRUGSFALL IM HERBST VOR GERICHT. Ich beobachtete, wie Max immer wieder die Worte überflog und die Zähne zusammenpresste, ich wusste nicht, ob aus Frustration, Scham, vielleicht Erleichterung oder sonst einem Gefühl. Dann inhalierte er tief den Rauch seiner Zigarette. »Nun, das versaut es, nicht wahr?« fragte er.
    »Wir wussten, dass es passieren würde.« Es sollte ein Trost sein, doch im Blick, den wir uns dabei zuwarfen, lag das Eingeständnis, dass dieses Vorherwissen die Kränkung nur verschlimmerte. »Er wird sich einen guten Anwalt nehmen«, fügte ich achselzuckend hinzu. »Den wird er auch brauchen. Sie beide werden einen brauchen.« »Und wir hätten nichts tun können, außer vielleicht...« »Mit ihnen zusammen unterzugehen?« »Genau.«
    »Das ist nicht unser Stil.« »Nein. Das ist er nicht.«
    Einen Augenblick hatte ich den Eindruck, er bedauerte, was wir getan hatten. Nicht nur, dass wir die Babcocks schnöde im Stich gelassen hatten. Vielleicht bedauerte er auch all die anderen unmoralischen und ungesetzlichen Taten aus unserer Vergangenheit. Solche Gefühle traten selten bei uns auf, wenn auch nicht so selten, wie wir gern vorgaben. Und in diesem Fall blieben sie unausgesprochen. Max zerquetschte seinen Zigarettenstummel auf dem Geländer der Reling und drehte sich mit diesem schiefen Lächeln zu mir um, das ich so gut kannte. »Dick hat eben Pech gehabt. Aber wir sind gut aus der Sache herausgekommen, schätze ich, du nicht auch?« »Da kannst du sicher sein.«
    »Selbst wenn das bedeutet, nach Blightly zurückzugehen.« Er seufzte und stieß sich von der Reling ab. »Ich werde vor dem Essen noch ein Bad nehmen. Um sieben zum Cocktail?« »Gute Idee.«
    »Und mach dir keine Sorgen.« Er schlug mir aufmunternd mit der Zeitung auf die Schulter. »Ich werde das da nicht mitbringen. Was hältst du davon, wenn wir dieses Thema verbannen -jedenfalls so lange, bis wir England erreicht haben?« »Einverstanden. Von ganzem Herzen.« »Gut. Wir sehen uns später.«
    Er trat an mir vorbei, grinste mit einer gewissen eigensinnigen Fröhlichkeit und ging zum Niedergang. Ich rauchte meine Zigarette zu Ende und schaute zu, wie die Schlepper hinter uns in den kräuselnden Schatten des Rauchs der Schornsteine zurückfielen. Dann machte ich mich ebenfalls auf den Weg in meine Kabine.
    Als ich mich vom Geländer abwandte, sah ich vor mir, wie eine korpulente Gestalt, weiblich und in Tweed gehüllt, den Niedergang vom Sportdeck herabstieg. Ich hatte kaum jemals eine so dicke und gleichzeitig so ehrwürdige Person gesehen, und ich bildete mir ein, über dem Dröhnen der Motoren das Knarren der Streben hören zu können. Ihre Knöchel waren geschwollen, und ihre Füße waren grausam in ein Paar irgendwie zu klein geratener Pumps gequetscht, auf denen sie daher trippelte. Das Schiff schlingerte zwar kaum, aber ich hätte wetten können, dass sie es nicht schaffen würde, ohne einen Fehltritt die Treppe hinunterzugehen. Ich hätte gewonnen. Eine Brise zupfte an der Krempe ihres Bergsteigerhutes, und sie hob die Hand von der Reling, um zu verhindern, dass er weggepustet wurde. Dadurch schwebte ihr Fuß einen Moment deplatziert mitten in der Luft.
    »Oh... oh, mein Gott...!«
    »Schon gut«, sagte ich und packte sie fest am Ellbogen. »Ich halte Sie.« Ich lächelte so beruhigend, wie ich konnte, und ließ sie nicht los, bis wir beide sicher auf dem Deck standen. Sie war ungefähr dreißig Zentimeter kleiner als ich und starrte mich aus blassblauen, geweiteten Augen an. Ihr Busen wogte verschreckt, und ihr Parfüm sowie der Duft nach Mottenkugeln
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