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Geschlossene Gesellschaft

Geschlossene Gesellschaft

Titel: Geschlossene Gesellschaft
Autoren: Robert Goddard
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geben, wenn sie sicher sein konnte, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Vielleicht störte sie auch die zufällige Sitzordnung des Restaurants, ein Vorurteil, das ich mit ihr teilte, nur dass ich es mir nicht leisten konnte, ihm nachzugeben.
    Meine Hoffnung, ihr noch vor der Party zu begegnen und so die Größe unserer Aufgabe abschätzen zu können, wurde dennoch nicht enttäuscht. Am folgenden Tag fuhr die Empress of Britain bei ruhiger See hinaus auf den Sankt-Lorenz-Strom. Ihr weißer Rumpf strahlte unter einem wolkenlosen Himmel.
    Die Passagiere kamen an die Luft heraus, um sich unter karierte Decken zu setzen, Wurfspiele zu spielen, das Frühstück abzuspazieren und den Horizont zu mustern oder um, in einigen Fällen, zu beobachten, ohne beobachtet zu werden.
    Zu diesem Zweck spazierten Max und ich die meiste Zeit des Tages mit Mütze und Schal auf dem Schiff herum. Wir wirkten müßig, in Wirklichkeit jedoch gingen wir sehr konzentriert unserer speziellen Beschäftigung nach. Und dann, kurz vor Mittag, während wir uns dem Heckende des Sportdecks näherten, bemerkte ich unter mir auf dem Lounge-Deck niemanden anderen als Miss Vita Charnwood, die herum watschelte, um Luft zu schnappen. In ihren Straßenschuhen und dem Tweedkostüm war sie nicht zu verwechseln. Nur war sie jetzt nicht allein. Neben ihr ging, und zwar beträchtlich graziöser, eine schlanke junge Frau mit pelzbesetztem Mantel und Hut.
    »Die Charnwoods«, flüsterte ich Max zu. Wir blieben im Schatten eines Rettungsbootes stehen und spähten zu ihnen hinab. »Erkennst du sie?«
    »Aufgrund einiger alter Fotos aus Illustrierten?« entgegnete Max. » Nicht aus dieser Entfernung. Ich kann ja heruntergehen und sie mir aus der Nähe anschauen, während du hier bleibst. Es ist meine einzige Chance, einen kurzen Blick auf sie zu werfen, bevor wir sie heute Abend treffen. Und du hast ja die Tante schon kennengelernt.« »Gute Idee.« Also ging Max den nächstgelegenen Niedergang hinunter, während ich blieb, wo ich war. Die Charnwoods hatten bereits die halbe Strecke an der Heckreling zurückgelegt, als Max unter mir auftauchte. Er ging denselben Weg, aber in der anderen Richtung, und konnte sie ausgiebig betrachten, als sie stehenblieben, um mit jemandem zu reden. Schließlich verlor ich sie aus den Augen, als sie wieder in die Salons zurückgingen, während Max an der Reling stehenblieb. Ich wartete noch etwas, um sicherzugehen, dass ich ihnen unterwegs nicht begegnete, und ging dann zu ihm hinunter.
    Als ich bei ihm ankam, hatte er sich eine Zigarette angezündet und schien in Gedanken verloren. Sein Blick war auf die blauen Wimpel gerichtet, die über uns im Wind flatterten. »Nun?« drängte ich, da er offenbar nicht von sich aus reden wollte.
    »Entschuldige«, murmelte er, lächelte schwach und schaute mich an, als erwache er aus einem Traum. »Sie ist es. Aber die Fotos werden ihr beileibe nicht gerecht.«
    »Also sieht sie ziemlich gut aus?«
    »Das kann man wohl sagen, ja.«
    »Was sagst du? Ich konnte nur die Krempe ihres Hutes sehen.«
    »Ja. Ich finde, sie sieht gut aus.« Sein Blick glitt wieder von mir weg. »Genaugenommen, alter Knabe, würde ich sagen, dass sie wohl die schönste Frau ist, die ich jemals gesehen habe.«
    Der Fluch einer klassischen Erziehung ist, dass einem ungebeten mythologische Parallelen in den Sinn kommen, während man sich mit Alltäglichkeiten auseinandersetzen muss. Kaum hatte Max Diana Charnwoods Schönheit gepriesen, drängte sich mir der Gedanke an das Schicksal von Actaeon auf, der einer anderen Diana nachspioniert hatte. Doch diese Göttin war am Baden, rief ich mir ins Gedächtnis, während die Erbin nur promenierte. Außerdem wusste Max, dass die Jagd nach Reichtum wesentlich lohnender war als die nach Schönheit. Ich war felsenfest davon überzeugt, mich darauf verlassen zu können, dass er diese einfache Wahrheit nicht vergaß.
    Man konnte jedoch nicht abstreiten, dass der verführerische Anblick von dem, was unter dem Hut war, ihn in seinem Entschluss bekräftigt hatte, unsere Chance zu nutzen. Wir hatten vereinbart, uns eine Viertelstunde nach Beginn der Party in der Suite der Charnwoods einzufinden, um dem Anschein des Übereifers vorzubeugen. Als ich meine Kabine um zehn nach sechs verließ, lag eine Nachricht am Boden, offensichtlich von jemandem unter dem Türspalt hindurch geschoben. Sie war von Max.
    Habe mich entschieden, vorauszugehen. Wir treffen uns da.
    M.
    Ich musste unwillkürlich
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