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Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Titel: Berndorf 07 - Trotzkis Narr
Autoren: Ulrich Ritzel
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Z wischen Immergrün und verblühten Herbstblumen stakst wippend eine Amsel, verharrt plötzlich mit hochgestrecktem Kopf und äugt, ganz still und starr, hüpft aber gleich darauf einen oder zwei Schritte weiter und pickt etwas aus dem Boden, einen Wurm oder ein Kerbtier. Und schon wieder muss sie äugen, wohin? Hinauf zu den Falken oder was sonst aus dem blaugrauen Himmel herabstoßen kann auf den Neuen Städtischen Friedhof? Was ist das überhaupt, was dieser Vogel aus dem Boden holt?
    Das, denkt Jonas Regulski, will ich lieber nicht so genau wissen. Der Boden unter Cotoneaster und welkem Gesträuch bietet allerhand Getier Nahrung. Warum nicht auch der Amsel? Es ist ein Amselmännchen, falls die einen gelben Schnabel haben. Und auf seinem Kopf ist eine kahle Stelle, vielleicht von einem Schnabelhieb, vielleicht von einem Treffer aus Luftgewehr oder Steinschleuder. Nein, denkt Regulski, die Welt ist nicht freundlich. Nicht zu Amselmännchen und auch zu niemandem sonst.
    Er wendet sich ab, etwas zu abrupt, so dass die Amsel missversteht und hochflattert. Nix für ungut, denkt Regulski und blickt zu Hintze. Der steht ein paar Schritte weiter, vor dem Grab mit dem Findlingsstein und dem kurz geschnittenen Rasen, und betrachtet seine Arbeit, die Rasenschere in der Hand. Aber er ist nicht zufrieden, und so lässt er sich wieder auf seine Knie sinken und macht sich daran, auch die Grashalme rund um den Findlingsstein auf gleiche Höhe zu stutzen.
    Einmal Maurer, immer Maurer, denkt Regulski: Alles muss nach der Richtschnur gearbeitet sein. Nur das Leben schert sich einen Dreck darum. Aber vielleicht ist es auch ein Vorwand, und der Schlingel will vor dem Grab nur knien.
    Dabei trifft den Maurer Paul Hintze gar keine Schuld. Ihn doch nicht. Schwarz auf weiß hat er es, dass er nicht schuld ist. Aber auch darum schert sich das Leben einen Dreck.
    »So!«, sagt Hintze, der wieder aufgestanden ist und sich die Hosenbeine abklopft. »Das sollte jetzt seine Ordnung haben.«
    »Sieht gut aus«, sagt Regulski. Und dass etwas gut aussieht, das ist doch die Hauptsache, oder nicht? So, wie die Wally ausgesehen hat, nachdem sie es getan hat, kann einer mit dem Grab gar nicht zufrieden genug sein. Nur kann er das dem Maurer Hintze nicht sagen. Ums Verrecken nicht. Wer weiß, wie gründlich Frauen sein können, wenn sie Schluss machen wollen, der geht nicht in Details. Bitte nicht.
    »Gehen wir ein Bier trinken?«
    »Wenn du meinst«, antwortet Hintze, während er die Rasenschere und die kleine Handhacke in seiner Werkzeugtasche verstaut. »Ein Bier und einen Kurzen. Die Wally wird es uns gönnen.«
    An den Gräberreihen entlang gehen die beiden Männer zum Ausgang. Irgendwo jault ein Mobiltelefon, nein, nicht irgendwo, sondern in der Tasche von Regulskis Uniformjacke. Er macht einen Schritt zur Seite, bleibt dann stehen und holt das Handy heraus. Sein Schwager läuft ein paar Meter weiter, bis er außer Hörweite ist. Das gehört sich so, denn es kann ein dienstlicher Anruf sein.
    Das Gespräch ist nur kurz, dann klappt Regulski das Mobiltelefon wieder zu und schließt zu Hintze auf. »Entschuldige«, sagt er. »Ein Kollege … du kennst ihn.«
    »Ach, der!«
    Ja, der!, denkt Regulski und versteht schon, was Hintze meint: noch einer, der nicht hat helfen können. Du tust ihm Unrecht, will er sagen und unterdrückt es rechtzeitig. Sie erreichen den Ausgang und gehen an den geöffneten schmiedeeisernen Torflügeln vorbei, verharren kurz am Gehsteig und überqueren dann die Straße, auf deren anderer Seite das Café zur »Stillen Einkehr« liegt. Am Eingang ist ein Zeitungsautomat aufgestellt, der »Express« titelt mit großen roten Buchstaben: »Staatsanwältin Gnadenlos ins Rote Rathaus?«
    Regulski ist stehen geblieben und liest die Schlagzeile. »Ist was?«, fragt Hintze.
    »Nöh«, sagt Regulski, zuckt mit den Schultern und geht durch die Tür, die ihm Hintze aufhält.
    W ir müssen die einfachen Dinge wieder lernen«, ruft Dagmar Wohlfrom-Kühn in den Saal, den Kopf mit der graugelockten Mähne zum Mikrofon geneigt und gleichzeitig das Publikum im Auge. Ihre Hände unterstreichen den Satz, als seien die einfachen Dinge vor allem rund und angenehm. Dann aber ändert sich die Gestik, die Finger fächern sich auf und zeigen auf die Zuhörer. »Und dazu gehört, dass wir, die Berlinerinnen und Berliner, uns fragen – und wir, was tun wir für unsere Stadt?«
    Eine angenehme Stimme, konstatiert Karen Andermatt. Nicht zu hoch, nicht
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