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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition)
Autoren: Susanne Gavénis
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Prolog

    Die Sylphen und Dryaden des Waldes stoben in Panik auseinander, als Ogaire an’Tairdym, einer düsteren Naturgewalt gleich, an ihnen vorüberzog. Wohin auch immer er seine Schritte lenkte, verstummten Gesang und Gelächter, erstarrten die anmutigen Tänze der Wind- und Baumgeister in jähem Entsetzen, verzerrten Grauen und Furcht ihre zarten, im goldenen Licht der Sonne strahlenden Gesichter.
    Nur einen Wimpernschlag später waren sie fort, wurden eins mit den mächtigen Stämmen der Bäume, ihrem dichten grünen Blattwerk und den knorrigen Wurzeln; jene, die nicht wie die Dryaden die Fähigkeit besaßen, in der Verschmelzung mit den majestätischen Eichen, Buchen und Kiefern des Elfenhains Schutz und Sicherheit zu finden, jagten in kopfloser Flucht davon oder kauerten sich mit ihren winzigen Körpern zitternd in den Schatten der Grashalme und Wiesenblumen, um deren leuchtende Blüten noch einen Moment zuvor dichte Wolken von Sylphen und Blütenfeen zur lautlosen Melodie des Windes ihre ätherischen Tänze in die warme Sommerluft gewoben hatten.
    Ogaire spürte die Blicke ihrer aufgerissenen, schreckensstarren Augen, die ihn verfolgten, während er mit gleichgültiger Miene seinem Ziel entgegenschritt. Die Wesen des Kleinen Volkes schienen genau zu wissen, was er plante, waren zu sehr Teil der Natur und alles Lebendigen, um nicht die kalte Entschlossenheit wahrzunehmen, die ihn erfüllte und wie ein tödlicher Nebel von ihm ausstrahlte. Es kümmerte ihn nicht. Die Zeit der Entscheidung war gekommen. Keine Macht der Welt würde ihn jetzt noch aufhalten können.
    Auch der Säugling hatte das begriffen. Ohne innezuhalten oder sein Tempo zu verlangsamen senkte Ogaire den Blick, betrachtete gleichmütig das wimmernde Bündel, das er achtlos wie einen alten Lumpen mit seiner rechten Hand gepackt hielt. Normalerweise schrien Elfenkinder nicht, wurden sie doch mit wachem Geist geboren, dieses hier aber schrie so durchdringend, als stecke ein Messer in seinem kleinen Leib.
    Seine winzigen Händchen waren zu Fäusten geballt, als versuche es mit all der armseligen ihm zur Verfügung stehenden Kraft, sich aus der stählernen Umklammerung zu befreien, und in seinen großen Babyaugen flackerte nackte Angst. Obwohl es eben erst geboren worden war, konnte es natürlich wie jeder Elf die Gefühle und Absichten eines anderen erspüren, und Ogaire machte sich nicht die Mühe, die seinen vor ihm zu verbergen, ebenso wenig wie er es für wert erachtet hatte, seinem Sohn nach alter Elfentradition bei dessen erstem Blick in die Augen des Vaters einen Namen zu geben. Er würde ohnehin keine Gelegenheit haben, ihn zu tragen.
    Die Mutter war bereits tot. Kurz vor der natürlichen Geburt hatte er das Kind aus ihrem Leib geschnitten, danach sofort mit seinem Dolch ihr Herz durchbohrt – der erste unabdingbare Teil des magischen Rituals, auf dessen Durchführung er seit Jahrhunderten hingearbeitet hatte.
    Bald schon würde er es weiterführen, im Herzen des Hains, dort, wo die Lebenskraft noch mit ungebrochener Reinheit und Stärke pulsierte. Es war nicht mehr weit.
    Die qualvollen Schreie des Säuglings waren die einzigen Laute, die ihn nun noch begleiteten. Die Natur selbst schien furchtsam vor seiner Gegenwart zurückzuweichen, das Gras unter seinen Stiefeln allein durch seine Berührung schlaff und leblos zu werden. Die Zweige der Büsche und Sträucher erbebten wie verwundete Tiere, als er sich rücksichtslos seinen Weg durch das Unterholz bahnte, und überall um ihn herum schlossen sich die Blüten der Waldblumen wie die Augen von Sterbenden, krümmten sich die Blütenfeen im Inneren der Kelche hilflos unter dem Ansturm der Qual, die in eisigen Wellen über sie hinwegrollte.
    Schatten jagten wie entfesselte Dämonen über den sonst so lichten Hain, und das leuchtende, vitale Grün der Bäume und Gräser verwandelte sich mehr und mehr in ein stumpfes, düsteres Grau, als schwarze Wolken mit rasender Geschwindigkeit am vormals blauen Himmel aufquollen – weithin sichtbares Zeichen des ohnmächtigen Entsetzens der Wind- und Wettergeister.
    Ogaire hatte keinen Blick dafür übrig. Er spürte die Nähe des Herzens, lange bevor er es tatsächlich sah, spürte den lautlosen Pulsschlag des Lebens, der wie der Atem eines Gottes durch die unbewegte Luft strich, die nun, da sich die Sylphen ängstlich in den Wolken verkrochen, schwül und stickig geworden war. Seine Augen, die nach den langen Jahrhunderten, die er auf den beinahe
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