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Voodoo Holmes: Botschafter der Nacht

Voodoo Holmes: Botschafter der Nacht

Titel: Voodoo Holmes: Botschafter der Nacht
Autoren: Berndt Rieger
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Voodoo Holmes – Botschafter der Nacht
     
    Der Tag der Parade war einer jener wolkenlosen Sommertage, an denen die Feuchtigkeit am Morgen in den Spinnennetzen hängt und man spürt, dass der Herbst nicht mehr weit ist. Doch dann wurde es so heiß, dass die Menschen in den feierlichen dunklen Kleidern, die den Wegrand säumten, das Vorbeiziehen der prächtigen Kutschen in einer Trance erlebten, als unwirkliches Ereignis, von dem sie nur geträumt hätten. Es war gewissermaßen eine Geisterfahrt, die der britische Adel an diesem Tag unternahm, und doch so eindrucksvoll und unter einer derartigen Prachtentfaltung, dass die Menschen noch viele Jahre später davon sprachen.
Voodoo Holmes war mit Dr. Watson unter den Staunenden. Er stand erhöht auf einer Vortreppe und konnte die Vorbeifahrenden dadurch auf Augenhöhe mustern. Dabei zeigte er nur für eine der Kutschen Interesse, nämlich der siebten, einer jener frühen, in einfaches Schwarz gehaltenen Gefährte, die das Königshaus voran schickte, um die Erwartungsspannung aus kleinsten Impulsen heraus zu erzeugen, und dann nach und nach zu erhöhen, bis die Königin selbst zwei Stunden später in der größten, goldenen Kutsche persönlich herbei rollte, hinter Gardinen nur als Schatten zu erfühlen. Die ersten Fahrzeuge aber, gefüllt mit nebensächlichen Mitgliedern des Königshauses, waren noch offen, und deshalb bereitete es Holmes keine Mühe, die hohe, aufrechte Gestalt von Agnes, Gräfin zu Hohenfels-Schlüchtern, zu sehen, einer alten, hageren Deutschen, die zu einer der Tanten der Königin gehörte, die sie in ihrer Jugend umgeben und die zu ihrer Erziehung beigetragen hatte. Aufgrund dieser Verdienste lebte die Gräfin seit vielen Jahren im Buckingham Palace und gehörte dort gewissermaßen zum Inventar, das anlässlich von Feiern wie dieser abgestaubt und ausgestellt wurde. Dafür eignete sie sich auch im Alter von 86 Jahren noch. Vielleicht mehr denn je. Ihr aristokratisches Profil, der hochmütige Blick und zugleich etwas Feinfühliges, Einnehmendes in ihrem Gebahren forderte Respekt, und half dabei Revolutionen im Keim zu ersticken. Die Gräfin wurde also gebraucht, und vielleicht deshalb hatte sie auch so lange gelebt und wirkte nicht viel älter als 70 Jahre. Sie war nicht vom Gram gebeugt, sondern hielt sich aufrecht, als habe sie einen Stock verschluckt, und ihre etwas heiser und atemlos gewordene Stimme hatte immer noch einen Anflug von Stahl, bei dem man sich selbst unwillkürlich aufrichtete, erzählte Watson.
„Und zu welcher Gelegenheit konnten Sie das feststellen?“ fragte Holmes.
    „ Anlässlich einer Konsultation. Ihre Hoheit war so liebenswürdig, meinen ärztlichen Rat zu suchen", bemerkte Watson mit sichtlichem Stolz.
    „ Und was hatte die Gute?“ Holmes sprang von der Treppe und bahnte sich seinen Weg durch die Menschenmenge. Dr. Watson eilte ihm hinterher.
    „ Sie wissen doch genauso gut wie ich, Holmes, dass ich Ihnen davon nichts erzählen kann. Ärztliche Schweigepflicht sollte ja etwas wert sein. Der Grund, warum ich Ihnen die Dame gezeigt habe ... nun ja, das entstand aus der Hoffnung heraus, dass Sie mir vielleicht sagen könnten, ob Sie glauben, dass die Gräfin, sagen wir einmal, angenommen ...“ Dr. Watson verhedderte sich.
    „ Sie wollen mir etwas sagen?“ fragte Holmes. Sie waren längst wieder in verlassene Straßen eingetaucht. Die Geschäfte hatten wegen der Parade geschlossen, doch einige Pubs hatten offen. Es war so heiß, dass Holmes seinem Gefährten einen Wink gab und dann kurz entschlossen in das Dunkel eines Pubs eintauchte und dort ein Bier bestellte.
Dr. Watson trat neben ihn an den Tresen. „Ganz ehrlich, Holmes. Halten Sie die Dame für verrückt? Sie müssen wissen, für den Fall, dass es so ist, darf ich nicht weiter reden, denn dann wäre es ja ein Bruch meiner Schweigepflicht, verstehen Sie? Aber wenn Sie mir sagen würden, dass Sie den Eindruck haben, sie könnte normal sein, dann würde ich ich in der Lage sehen, Ihnen Mitteilungen zu machen, die Sie wahrscheinlich stark interessieren würden.“
    „ Das ist doch alles Unsinn, Watson. Wenn Sie das Königshaus konsultiert in Ihrer Rolle als Arzt, dann dürfen Sie über nichts, was Sie dort als Arzt gesehen oder gehört haben, auch nur ein Wort verlieren. Das gebietet die Diskretion, aber auch Ihre Berufsehre.“
    „ Fürwahr, fürwahr, Holmes, gewissermaßen. Aber angenommen, gesetzt den Fall ...“
    „ Nein, da kann es keine Ausnahmen geben",
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