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Voodoo Holmes: Botschafter der Nacht

Voodoo Holmes: Botschafter der Nacht

Titel: Voodoo Holmes: Botschafter der Nacht
Autoren: Berndt Rieger
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ihm ein weiteres Bier zapfte.
    „ Mir ist nicht ganz klar, was Sie von mir wollen, Watson“, meinte er dann.
    „ Lieber Freund, würden Sie mir den Gefallen tun, die alte Dame zu sprechen?“
    „ Warum?“
    „ Mir zu Gefallen.“
    „ Gern. Aber warum?“
    „ Nun, vielleicht sollte ich in meiner Erzählung fortfahren, damit Sie ganz verstehen, was ich meine. Also ... ich überlegte mir natürlich, wie ich vorgehen sollte. Manche alte Menschen, das haben Sie vielleicht schon gehört, leiden unter eine Tuberkulose des Gehirns. Oder unter einer Syphilis, die das Zentralnervensystem zerstört. Oder unter einem Tumor des Gehirns, der Trugbilder heraufbeschwört. Spätestens dann, wenn Hirndruckzeichen auftreten, weiß man ja, wie man zu handeln hat. All das ist bei einer Dame diesen Alters eigentlich tabu. Und man erwartete von mir vielleicht auch nicht so sehr eine eingreifende, effektive Therapie. Aber man erwartete immerhin etwas. Und ich war mir in dieser Situation zu schade, der Gräfin Laudanum oder was auch immer zu geben, um ihr zu einem gesünderem Schlaf zu verhelfen. Einerseits, weil sie das kategorisch ablehnte. Aber auch, weil ich ein Gefühl hatte, das sich nicht näher beschreiben lässt. Und diesem Gefühl musste ich nachgehen. Also machte ich ihr den Vorschlag, die nächste Nacht in ihrer Kammer zu verbringen.“
    „ Watson, Sie überraschen mich.“
    „ Ich kann selbst nicht erklären, warum ich so handelte. Der Vorschlag wurde dann aber überraschenderweise ohne Widerspruch oder Bedenkzeit angenommen. Ich hatte erwartet, dass man eine Art Anstandsdame engagiert, um die unziemliche Nähe zwischen einer Lady und einem Gentleman abzudämpfen, aber ich glaube, angesichts des großen Altersunterschiedes wurde sowohl von Seiten der Patientin wie auch ihrer Umgebung meine ärztliche Rolle in den Vordergrund gestellt und die Angelegenheit dadurch legitimiert. Man stellte mir also einen größeren Sessel in die Kammer, auf dem man zur Not einnicken konnte, wenn einen der Schlaf übermannte. Ich setzte mich gegen zehn Uhr hin, während die Gräfin auf dem Bett lag und längst schnarchte. Bis Mitternacht blieb ich wach. Ich hörte noch die Glocken schlagen, aber dann muss ich eingeschlafen sein, bis mich ein durchdringender Schrei weckte. Es war die Gräfin, die aufrecht im Bett saß und auf die Tür starrte, neben der ich saß, auf einen Fleck an der Wand, der kaum einen Yard von mir entfernt war. Zu diesem Zeitpunkt waren die Lichtverhältnisse reduziert. Ich hatte ein Gaslicht auf den Boden gestellt, aber es war erloschen, und das einzige Licht, das uns zur Verfügung stand, war das des Mondes, das durch das Fenster fiel. In diesem Licht konnte ich zuerst gar nichts erkennen. Doch ich spürte etwas, Holmes. Ich spürte die Anwesenheit eines Menschen. Und als ich aufsprang, tauchte ich in etwas ein. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber es war etwas Kühles und es bot einen Widerstand. Und dann wurde ich ohnmächtig.“
    „ Sie verloren das Bewusstsein?“
    „ So war es.“
    „ Das Kühle, das Sie wahr nahmen, konnte vielleicht ein Luftzug sein?“
    „ Sicherlich ist das möglich. Ich saß neben der Tür und der Luftzug konnte durch den Türspalt gestrichen sein. Das Fenster stand offen. Ich weiß das alles, Holmes. Aber ich schwöre Ihnen, in dem Moment, in dem ich diese Anwesenheit spürte, erfüllte mich eine Angst, die ich noch nie gekannt hatte. Ich war zum Kind geworden. Ich konnte nicht denken. Das einzige Gefühl, das ich hatte, war das der Todesnähe. Es schnürte mir den Atem ab und ich konnte dieser Bedrängnis nur entfliehen, indem mir die Sinne schwanden. Als ich wieder erwachte, stand die Gräfin über mir, im Nachthemd, den Arm erhoben, mit einem Dolch in ihrer Faust. Ich dachte zuerst, sie wolle mich töten, doch der Dolch war wohl für den Schatten gemeint gewesen, der mich, wie sie sagte, erwürgen wollte. Nach den Angaben der Gräfin hatte sie mir das Leben gerettet.“
    Holmes betrachtete seinen Freund, dem der Schweiß auf der Stirn stand, als er diese Geschichte erzählte, und der so blass geworden war wie ein Leichentuch von der Erinnerung.
„Jetzt verstehe ich langsam, was Sie bewegt, Watson“, sagte er, „und warum wir heute zur Parade gehen mussten, um uns diese Gräfin anzusehen. Nun, die alte Dame scheint noch ziemlich gelenkig zu sein, was meinen Sie? Und ich meine das nicht nur die alten Knochen betreffend.“
     
    ¥
     
    Es dauerte drei Tage, bis es dem
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