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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone
Autoren: Reski Petra
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zusammen und lösen sich wieder auf. Die Sonne bricht durch, wie ein gigantischer Scheinwerfer beleuchtet sie die nass glänzende Autobahn, als sich der Himmel schon wieder verdunkelt und erneut Tropfen fallen. Das Licht wechselt so schnell, als würde man am Ufer des Atlantiks stehen. Das Laub färbt sich bereits, manche Bäume lodern schon blutrot. Als ich noch in Deutschland lebte, waren mir die Farben des Herbstlaubs gleichgültig, erst seitdem ich nach Italien gezogen bin, starre ich auf das deutsche Herbstlaub wie auf eine Erscheinung. In Venedig gibt es gar keine Bäume, und in Palermo wachsen vor allem Palmen, Magnolien und Pomeranzen – Bäume, deren Blätter keine Anstalten machen, sich zu verfärben.
    Vor mir schleicht ein Laster durch die Baustelle, es ist bereits die dritte auf diesem kurzen Stück. Deutsche Autobahnen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Missmutig schleiche ich hinter dem Laster her. Kilometerlang. Bis ich endlich Gas geben kann. Es hilft nichts: Wenn man ein schnelles Auto hat, will man auch schnell fahren. Fliegen, abheben, durch die Luft wirbeln. Und laut mitsingen. Non so se hai presente una puttana ottimista e di sinistra.
    Hinter mir betätigt jemand die Lichthupe. Auch das hatte ich vergessen. Drängler. So etwas gibt es hier noch. Hochmütig und ohne zu blinken wechsele ich auf die andere Spur und versuche mich in den Anblick des Grüns zu vertiefen, das fast in die Autobahn herein wächst. Und wundere mich über das Schild, das die Geschwindigkeitsbegrenzungaufhebt, ein Schild, von dem Italiener nur träumen können. Bei mehr als hundertdreißig Stundenkilometern schnappt die Radarfalle zu. Und außerdem ist das Vergnügen in Deutschland auch noch umsonst. Keine Mautstellen, nichts. Freie Fahrt für freie Bürger. Jedenfalls bis kurz hinter Kamen. Bis zur nächsten Baustelle. Bis zum nächsten Stau. Zumindest vermute ich, dass der Grund für den vor mir befindlichen Stau eine Baustelle ist. Es ist Jahre her, dass ich das letzte Mal in einem Stau gestanden habe. Ich habe meine Zeit auf andere Weise verloren, auf Flughäfen und auf Bahnhöfen, in Sicherheitskontrollen und in Flugzeugsitzen. Und jetzt sind wir auf der Autobahn gefangen, jede Bewegung ist erstarrt. Ich suche die Radiosender nach Verkehrsmeldungen ab. Nach Staulängen und Umleitungsempfehlungen. Sicher gibt es in diesem Wunderauto auch ein Computerprogramm, das Staus aufspürt, nur habe ich noch nicht die richtige Einstellung gefunden.
    Der Himmel hat sich aufgeklärt, vorübergehend, als ich höre, dass der Verkehrssprecher endlich unseren Stau meldet: Die Autobahn ist gesperrt, weil ein Laster umgekippt ist. Es ist, als sei gerade angekündigt worden, dass der Flug gestrichen wurde. Ich steige aus und versuche etwas zu sehen, natürlich vergeblich. Neben mir wartet ein Laster, der Fahrer blickt auf den Spider und macht mir Komplimente für die Zierfelgen. Die genau genommen nicht mein Verdienst sind. Aber warum so kleinlich. Und schon nehme ich die Komplimente so hochgemut entgegen, als seien die Zierfelgen an mir gewachsen.
    Eine gefühlte Ewigkeit lang schreibe ich Emails mit meinem Blackberry, dann verliere ich mich im weltweiten All, klicke durch die Seiten der Tageszeitung Il Fatto quotidiano, schaue mir die Wettervoraussagen auf Yahoo anund lande schließlich auf den Seiten meines italienischen Lieblingsblogs »Spinoza«, der ganz im Sinne des Philosophen geführt wird: Die Substanz an sich (also Gott) besitzt weder Willen noch Intelligenz. Spinoza.it kommentiert das Weltgeschehen mit getwitterten Sentenzen. Etwa: Angelina Jolie besucht die amerikanischen Truppen im Irak. Schon vier Marines adoptiert. Oder: Panik am Flughafen Mailand. Sprengkörper mit rudimentärer Technik und einigen elektrischen Kabeln entdeckt: Es handelte sich um ein Alitalia-Flugzeug. Oder: Berlusconi: Wir dürfen Obama nicht verärgern. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie empfindlich dieser Neger ist. Als ich noch kichere und bedauere, niemanden an diesen Einsichten teilhaben lassen zu können, klopft der Lastwagenfahrer etwas respektlos auf die Motorhaube meines Spiders, um mich darauf aufmerksam zu machen, dass sich das Ende des Staus bewegt. Und ich drücke wieder auf den Startknopf. Wieder vergeblich. Irgendetwas mache ich falsch. Hoffentlich kriegt es der LKW-Fahrer nicht mit, dass ich es nicht mal schaffe, das Wunderwerk anzulassen.
    An dem Fahrerhaus des LKWs hängt eine kleine Deutschlandfahne. Jedes Mal, wenn
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