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Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Autoren: Henry Winterfeld
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    Man soll einer Katze nichts an den Schwanz binden
    Die ganze Geschichte fing damit an, dass Peter keinen Spaß verstand. Peter ist der große, graue Kater vom Bädermeister Bollner, der seinen Laden auf dem Geißmarkt hat. Willi Hak hatte es schon lange auf Peter abgesehen. Willi und ich gehen in dieselbe Klasse. Er wohnt neben uns auf dem Geißmarkt. Ich hatte ihm immer wieder gesagt, dass er Peter in Ruhe lassen soll. Ein Kater will tagsüber ungestört sein, wenn er die ganze Nacht auf den Dächern herumgestrolcht ist und Konzert gemacht hat.
    Aber Willi kann mich nicht ausstehen. Deswegen wollte er Peter erst recht eins auswischen.
    Der Junge war schrecklich boshaft. Die ganze Nachbarschaft fürchtete sich vor ihm. Heute hat er sich geändert. Aber damals gehörte er natürlich zu den Piraten.
    Die Piraten, na, das war eine tolle Bande! Die schlimmsten Streiche gingen auf ihr Konto. Es verstrich fast kein Tag, an dem sie nicht die Bewohner von Timpetill durch irgendeinen groben Unfug in Aufregung versetzten. Zu den Piraten gehörten auch viele Mädchen. In den Elternversammlungen schimpften die Erwachsenen wie die Rohrspatzen auf die Kinder, die immer frecher und unbändiger würden. Sie wussten nicht, dass es die Piraten gab. Sie warfen uns alle in einen Topf. Dabei wollten meine Freunde und ich mit den Piraten nichts zu tun haben. Wir verachteten ihre Heldentaten. Wir waren natürlich auch keine Unschuldsengel, aber wir waren nicht so dumm und eingebildet wie sie. Leider waren sie in der Mehrzahl. Ihre Anhängerschaft wuchs von Tag zu Tag. Alle Jungen, und komischerweise auch viele Mädchen, brannten darauf, in die Piratenbande aufgenommen zu werden. Die Aufnahmebedingungen waren sehr streng. Jeder musste eine ganz verrückte Mutprüfung bestehen.
    Karl Benz hat mir davon erzählt. Er sollte in einer finsteren Nacht auf dem Friedhof eingeschlossen werden. Als er sich weigerte, wurde er verprügelt und weggejagt. Seitdem versuchte er, sich uns anzuschließen. Meinem Freund Thomas Wank und mir. Ich heiße Manfred Michael. Aber wir waren sehr vorsichtig, weil wir fürchteten, dass die Piraten uns reinlegen wollten.
    Ihr Häuptling war Oskar Stettner, ein vierzehnjähriger Junge. Er ist um einen Kopf größer als ich und furchtbar stark. Beinahe wie ein Erwachsener. Sein Vater ist der dicke Fleischermeister aus der Pfarrgasse. Wir nannten den Piratenhäuptling den »blutigen Oskar«, weil er seinem Vater oft beim Schlachten hilft. Wenn Oskar was ausgefressen hatte, wurde er von seinem Alten schrecklich verdroschen. Ich würde mich für solche Prügel schön bedanken. Herr Stettner hat ein Paar Fäuste so groß wie Boxhandschuhe. Aber Oskar macht das gar nichts aus. Er muss Sprungfedermatratzen unter dem Fell haben. Als er noch Chef der Piraten war, bekam er sehr häufig Prügel. Dann war es ein, zwei Tage ruhig im Städtchen, aber plötzlich war wieder die Hölle los. Herr Stettner gab seine Erziehungsversuche auf.
    Oskar triumphierte, und die Piraten legten erst so richtig los.

    Einmal schraubten sie an einem Markttag auf dem Geißmarkt heimlich die Verschlusskappe des Hydranten ab. Es gab eine riesige Überschwemmung. Den Bauersfrauen wurde das Gemüse weggespült. Drei lebende Hühner und vier Kaninchen ertranken in ihren Käfigen. Im Rathauskeller, wo viele Leute gerade beim Mittagessen saßen, kam plötzlich ein Wasserfall die Treppe herunter. Es soll einen schrecklichen Wirbel gegeben haben.
    Ich war leider nicht dabei. Ich musste für meinen Vater, der einen Buch- und Papierladen auf dem Geißmarkt, Ecke Pfarrgasse, hat, Pakete vom Bahnhof holen. Aber mein bester Freund, Thomas Wank, hat mir alles genau berichtet. Von Thomas werde ich noch viel zu erzählen haben. Die Piraten sind natürlich nicht gefasst worden. Sie waren viel zu schlau. Darum wussten unsere Eltern nie, welche Kinder eigentlich dahintersteckten, wenn irgendwo eine Schaufensterscheibe entzweiging oder in einer Straße sämtliche Gaslaternen ausgedreht wurden.
    In der Schule ließ Direktor Beese uns alle in die Aula kommen. Die Mädchen mussten auch antreten. Er hielt uns eine gepfefferte Standpauke.
    »Pfui, ihr schlimmen Verbrecher!«, sagte er. »Ich werde euch alle jeden Tag eine hübsche runde Stunde nachsitzen lassen, wenn ihr nicht gesteht, wer hinter diesem wüsten Unfug steckt, den ich weder für bewundernswert noch für geistreich halte!«
    Direktor Beese ist sehr stolz auf seinen »grimmigen« Witz. Er schimpft nur in
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