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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone
Autoren: Reski Petra
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Mafiosi, sondern um Trittbrettfahrer gehandelt habe, als könnte mich diese Mitteilung beruhigen.
    Ich frage mich, was Trittbrettfahrer weniger bedrohlich macht als Mafiosi. Soll es heißen, dass es sich um einfache und nicht um geadelte Kriminelle handelte? Vielleicht liegt es auch daran, dass ich ein Buch über die Mafia geschrieben habe. Seitdem Giuseppe das weiß, ist er um mich besorgt. Einige der Protagonisten kennt er persönlich. Niemand muss ihm erklären, wer der Clan Pelle-Romeo ist, jener Clan der kalabrischen ’Ndrangheta, der in das Blutbad von Duisburg verwickelt war – wobei »verwickelt« etwas euphemistisch klingt angesichts der Tatsache, dass diesechs Toten von Duisburg alle Mitglieder des Clans Pelle-Romeo waren.
    Giuseppe ist erleichtert, dass sich die Aufregung um das Attentat von Duisburg gelegt hat. Wie viele andere Italiener hat auch er sich geschämt, als die Zeitungsartikel erschienen – mit Überschriften wie »Duisburg unter Mafiaverdacht« oder »Die Killer waren schneller« oder »Mafiamorde: Festnahmen in NRW und Italien«. Glücklicherweise hat sich die Erinnerung daran langsam verflüchtigt, wie der blaue Rauch einer Zigarette. Duisburg ist wieder Duisburg und nicht mehr ein Synonym für die Präsenz der Mafia in Deutschland. Giuseppe kam wieder auf den Weltrekord im Tarantellatanzen. Und über die Lichterbögen, die dieses Jahr aus Bari geliefert worden seien. Vierhunderttausend Glühbirnen, sagte er. Und dann begleitete er mich bis zu meinem Auto.
    Draußen war die Luft kalt und roch nach nasser Erde. Giuseppe strich um den Spider herum und fragte, warum ich mit dem Auto nach Sizilien führe, eigentlich sei es doch viel schneller mit einem Billigflug, Köln-Palermo direkt. Ich erzählte von meiner ersten Reise, damals, mit zwanzig. Und dass man manche Reisen zwei Mal machen muss. Weil man selbst eine andere geworden ist. Und weil man, wenn man eine andere geworden ist, andere Dinge sieht als beim ersten Mal. Giuseppe schwieg und stand da, mit hochgezogenen Schultern. Dann sagte er: »Es sind gefährliche Leute, hör bloß auf dammit.«
    Der Wind fuhr in seine lange, weiße Kellnerschürze, als Giuseppe mir eine Hand voll torrone zusteckte, weißer Nougat mit Haselnüssen. Für unterwegs, sagte er. Zum Abschied kniff er mir in die Wange wie einem Kind.
     
    Wenn man durch das Ruhrgebiet fährt, steigen manchmal Kühltürme aus der Landschaft auf wie anderswo Barockkirchen. Jedenfalls dann, wenn nicht gerade Lärmschutzwälle den Horizont beschränken, getarnt von kleinen, zarten Birken, deren Blätter so aussehen, als hätte man sie in Gold getaucht. Das macht sie mir sympathisch, denn eigentlich stimmen mich Birken melancholisch, sie erinnern mich an den Osten, und der Osten erinnert mich an die Heimat, die in meiner Familie immer nur die verlorene war, aber jetzt, mit diesen goldgelben Blättern wirken die Birken hoffnungsfroh, unverzagt, fast heiter.
    Ich frage mich, ob Italiener, wenn sie Deutschland bereisen, von den Birken auch melancholisch gestimmt werden oder ob sie die Birken mit der Tiefe der deutschen Seele verbinden? Mit deutscher Romantik und mit Caspar David Friedrich? Der Mensch, winzig, sich vor der Unendlichkeit der Natur verlierend? Aber gegen die deutsche Romantik spricht die Tatsache, dass die Welt und mit ihr die Natur hinter Lärmschutzwällen versteckt werden. Wenn Caspar David Friedrich wieder auferstehen würde, wäre das für ihn vielleicht ein lohnendes Motiv: der Mensch, sich vor der Unendlichkeit aus Lärmschutzwällen verlierend. Sicher ist es für die Anwohner erleichternd, nicht Tag und Nacht von dem Brausen der Autobahn belästigt zu werden. Aber irgendwie ist die Perfektion, mit der vor dem Lärm geschützt werden soll, auch beängstigend. Und je länger ich an den Birken und den Schutzwällen entlangfahre, umso mehr wünsche ich mich nach Süden, zum Lärm, zu den Zypressen. Und daran ist wahrscheinlich meine romantische deutsche Seele schuld.
    In meiner Kindheit gab es keine Lärmschutzwälle, die Autobahn führte direkt neben dem Balkon meiner Großeltern vorbei, das Rauschen hörte man selbst wenn dieFenster geschlossen waren. Es klang wie eine Meeresbrandung. Jedenfalls wenn ich die Augen schloss und auf dem mit grünem Kunstrasen ausgelegten Balkon meiner Großeltern vom Süden träumte. Von der Sonne und vom wolkenlosen Himmel. Und von Orangenblüten. Und von kleinen, barock verschnörkelten Dörfern, in denen jeder Kantstein älter und
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