Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone
Autoren: Reski Petra
Vom Netzwerk:
gesiegt.
    »Erst herrscht ein großer Enthusiasmus, dann die Leere«, sagte Padre Pintacuda. »Italiener haben immer die Neigung, diejenigen in den Staub zu treten, die sie zuvor auf den Altar gehoben haben! Die Jakobiner wurden auch alle geköpft«, sagte er und kicherte. Da war sie. Die Schmähung.
    Er verschwand fast hinter dem riesigen Schreibtisch, seine Augenhöhlen waren schwarz und seine Ohren sehr groß. Er sieht aus wie Andreotti, dachte ich damals.
    Einige Zeit später erfuhr ich, dass der italienische Geheimdienstan jenem 19. Juli 1992, als der Staatsanwalt Paolo Borsellino ermordet wurde, sein Hauptquartier hier in dem Castello Utveggio hoch über Palermo gehabt hatte. Von hier soll das Signal ausgegangen sein, um die Autobombe hochgehen zu lassen, die Borsellino und seine Leibwächter tötete.
    Roberto Scarpinato, der Antimafiastaatsanwalt – einen jener Jakobiner, von denen Silvio Berlusconi die italienische Justiz verseucht und sich selbst verfolgt wähnt, traf ich in seinem Büro im Justizpalast, wo an der Wand gegenüber von seinem Schreibtisch ein Gemälde des sizilianischen Malers Fiume hing, drei schwarze Schönheiten in Gold.
    »Das größte Unglück der Italiener ist die Vorherrschaft des persönlichen Interesses über die Interessen des Kollektivs«, sagte Scarpinato. Es gebe keine Kultur der Verantwortung, das mache auch einen starken Staat kaputt. Dann blickte er auf die drei goldenen Frauen vor ihm und sagte: »Vielleicht sind wir aber einfach nur den anderen Ländern voraus. Vielleicht ist das, was wir hier erleben, die wahre Postmoderne. Eine als Demokratie verkleidete Oligarchie.«
    Und dann fügte er an, dass man auch in Deutschland eklatante Mafiamorde wie die von Duisburg als größere Bedrohung betrachte als die Verflechtung von Mafia und Wirtschaft. »Der Mord in Duisburg geschah an einem Tag«, sagte Scarpinato. »Was aber die Geldwäsche betrifft, so wirkt sie sich auf Jahre aus. Aus dem Reichtum der Mafia wird wirtschaftliche Macht, und aus der wirtschaftlichen Macht wird politische Macht. Und die kann die Politik ganzer Länder beherrschen, wie es bereits in Afrika oder Südamerika geschieht. Oder in Russland.«
    »Also wird die Mafia bald auch die Politik in Deutschlandbestimmen?«, fragte ich. Und Scarpinato sagte: »Ich hoffe nicht.«
     
    Die Sonne steht hoch über den Feldern, die alle mit grünem Flaum bedeckt sind. Aus einem brennenden Laubhaufen steigt eine zitternde Rauchfahne auf, Schafe grasen auf den Hügeln. Und Shobha hält ihre Kamera aus dem Wagen und fotografiert so beiläufig, wie andere Leute sich Notizen machen.
    Ich erzähle ihr noch mal davon, wie ich zum ersten Mal nach Corleone kam. Sie kennt die Geschichte schon, aber jedes Mal, wenn wir darüber sprechen, schüttelt sie wieder ungläubig mit dem Kopf. Wenn sie hört, dass wir ganz Italien, mitsamt seiner Wunder unbeachtet hinter uns liegen gelassen haben, Venedig, Florenz, Rom, nur um so schnell wie möglich nach Corleone zu kommen. Dass wir unsere erste Nacht irgendwo in der Nähe von Messina verbrachten, in einem Hotel, das noch nicht für den Sommer vorbereitet war. Und wie ich mich wunderte, dass Sizilien hier Ssischilia hieß. Dass wir Messina hinter uns liegen ließen, genau wie Palermo, und immer weiter Richtung Corleone fuhren. Mit dem Paten auf dem Schoß.
     
    Die Corleone-Familie schätzte ihn, die Gesellschaft schätzte ihn nicht. Er begriff, dass er in der Welt, die sich die Corleones geschaffen hatten, glücklicher sein würde als in der Welt draußen. Und er begriff, dass die Corleone-Familie innerhalb ihrer Grenzen mächtiger war als die Gesellschaft.
     
    »Absurd«, sagt Shobha.
    Vorbei an verfallenen Gehöften, an Dornengestrüpp und Distelbüschen gelangen wir über eine vom Regenunter spülte Straße nach Corleone. Wir parken am Ortseingang. Corleone empfängt uns mit den Worten »Entflamme deine Phantasie«, die flackernd über eine Tafel für Leuchtreklame laufen.
    Über einer verrosteten Telefonkabine hängt ein Plakat, das für den Kräuterlikör Don Corleone wirbt, und in einem Laden für Kurzwaren werden coppole verkauft, jene Schlägermützen, die Mafiosi in Folklorefilmen tragen. Maria Concetta, die Tochter von Totò Riina, so heißt es, stelle sie her. »Sie kosten zwölf Euro und finden reißenden Absatz«, sagt der Besitzer des Geschäftes. »Besonders bei Touristen.« Tatsächlich sehen wir bald ein in Dreiviertelhosen gekleidetes Touristenpaar, das an die Hauswände
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher