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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone
Autoren: Reski Petra
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Einige Verwandte grüßen nur noch mit Müh und Not.
    Es ist sein Mut, vor dem sie sich fürchten. Denn Mario Caniglia hat es nicht bei seiner Weigerung belassen, zu zahlen, er hat nicht geschwiegen. Er hat dazu aufgerufen, Widerstand zu leisten, sich nicht zu beugen, er hat andere Unternehmer ermutigt, ihre Erpresser anzuzeigen: Wenn ich, Mario Caniglia, ein kleiner Orangenbauer es schaffe, dann kann es jeder schaffen. Hätte er geschwiegen, hätte ihn die Mafia, die immer pragmatisch denkt, als Betriebsunfall verbuchen können, aber so ist er zu einem Symbol geworden, zu einer Bedrohung.
    »Eines Tages werden sie mich bezahlen lassen«, sagte Mario Caniglia, »und ich hoffe, so spät wie möglich.« Trotz der Polizeipatrouille, die rund um die Uhr seine Orangenfelder bewachte, wurden immer wieder Orangen gestohlen. Nichts Bedeutendes. Nur kleine Gesten, die ihm zu verstehen geben sollen: Wir sind immer noch da. Wir warten auf dich. »Aber wenn ich tot bin, mache ich mehr Lärm als lebendig«, sagte Mario Caniglia. »Und deren Geschäfte sind auf die Stille angewiesen.«
    Es ist sehr still in Sizilien. In Palermo zahlen neunzig Prozent aller Unternehmer Schutzgeld, vom Schuster bis zur Supermarktkette. Manchmal sieht man in Palermo kleine Aufkleber mit Trauerrand auf Papierkörben kleben: »Ein ganzes Volk, das Schutzgeld zahlt, ist ein Volk ohne Würde«. Es sind die Aufkleber von Addio Pizzo , »Schluss mit dem Schutzgeld«, wie jene aus einer Studentengruppe hervorgegangene Organisation heißt, die zur Rebellion gegen die Schutzgeldzahlungen an die Mafia aufruft. Dank ihrer hatte der italienische Unternehmerverband endlich den Mut, dazu aufzurufen, diejenigen Unternehmer auszuschließen, die Schutzgeld zahlen.
    Zusammen mit der deutschen Botschaft hat die Vereinigung Addio Pizzo nun einen Stadtplan von Palermo herausgegeben, in dem die Lokale und Hotels verzeichnet sind, die kein Schutzgeld bezahlen. Damit die deutschen Urlauber kein schlechtes Gewissen haben müssen, wenn sie in Sizilien Urlaub machen – einen mafiafreien, politisch korrekten Urlaub gewissermaßen.
    So lobenswert die Initiative auch ist, aber ist es nicht ein Widersinn, wenn der deutsche Urlauber, der in Sizilien seine mafiafreien Ferien verbracht hat, nach Deutschland zurückkehrt und bei seinem Stammitaliener einkehrt, der vielleicht seit Jahrzehnten Geld für die ’Ndranghetawäscht? Wie wäre es, in Deutschland einen Antimafiarestaurant-Führer zu veröffentlichen – mit der Liste der von der ’Ndrangheta betriebenen Lokale, die der Polizei bekannt sind?
    Zartes Frühlingsgrün zieht sich über die Hügel und die Felder entlang der Autobahn nach Palermo, als bereite sich die Natur nicht auf den Winterschlaf vor. Ewiger Sommer. Endlich den atlantischen Tiefausläufern entkommen. Hier wird es wahr. Nicht umsonst stellte Goethe fest: »Vom Klima kann man gar nicht Gutes genug sagen.« Und nicht nur das, er schrieb auch: »Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele: hier erst ist der Schlüssel zu allem.«
    Als ich in Palermo ankomme, sehe ich, dass in der Altstadt unweit des Botanischen Gartens immer noch einige Karren von der Santa-Rosalia-Prozession stehen, der Schutzheiligen der Stadt. Sie stehen seit Mitte Juli da, verblichene Triumphwagen, Karren in Form einer Schiffsbrücke, darauf eine Treppe und ein Sockel mit der Statue der Schutzpatronin, einer Walküre, die einen Arm siegesgewiss in die Höhe streckt. Hinter der heiligen Rosalia weht ein bräunliches Segel, das der Wind knallend gegen die Voluten, Schnecken und Skulpturen schlägt, von denen das Gold abgeblättert ist.
    Ich bin glücklich, wieder in Palermo zu sein. Hier hat es begonnen, 1989, als mich eine deutsche Redaktion beauftragte, eine Reportage über den »Frühling von Palermo« zu machen. Es war der Moment, in dem in Palermo große Euphorie und Enthusiasmus herrschte – eine Stimmung, von der ich mich sofort anstecken ließ. Auch ich wollte mit meinen Reportagen dazu beitragen, dass die Mafia endlich besiegt werde. Journalisten überschätzen sich nun mal gern.
    Jedes Mal, wenn ich nach Palermo zurückkehre, denkeich daran. Und daran, dass mir eine Redakteurin in Hamburg einen Ratschlag mit auf den Weg gab: Ich solle mir auf keinen Fall einen kurzen Rock anziehen. Das könne man sich als Frau in Sizilien nicht erlauben. Also trug ich Jeans, in denen ich schon zu schwitzen begann, kaum dass ich den Boden von Palermo betreten hatte. Die Fotografin, mit der
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