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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone
Autoren: Reski Petra
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bringen dich und deine Familie um.« Mario Caniglia dachte: Ein Irrer!, legte auf und sagte kopfschüttelnd zu seiner Frau: »Stell dir vor, da war so ein Schakal, der wollte fünfhundert Millionen Lire von mir.« Danach ging er ins Bett und schlief. Tief und traumlos.
    Am Tag nach dem Telefonat stand er wie immer um fünf Uhr morgens auf, um auf seinen Orangenfeldern zu arbeiten, die er bewirtschaftet, seitdem er elf Jahre alt ist und sein Vater starb. Als er zum Mittagessen nach Hause kam, zitterte seine Familie vor Angst. Seine Frau, seine beidenTöchter, seine Schwiegersöhne. Der Erpresser hatte wieder angerufen und damit gedroht, seinen jüngsten Sohn, der in Catania seinen Militärdienst absolviert, zu köpfen. Und seinen Kopf hinter der Haustür abzulegen. Und falls Mario Caniglia die Polizei einschalten sollte, würde sein ganzer Betrieb in die Luft gesprengt.
    Mario Caniglia benachrichtigte die Polizei dennoch, was in Sizilien, wo man einen Mann bis heute tödlich beleidigen kann, wenn man ihn als Carabiniere beschimpft, nicht selbstverständlich ist. Noch während er den Beamten berichtete, was ihm zugestoßen war, rief ihn sein Erpresser wieder an. Die Polizisten bedeuten Caniglia, weiterzusprechen und nicht aufzulegen. Also sprach er weiter, er bettelte um Nachsicht und einen Preisnachlass – und verspürte grenzenlose Wut in sich aufsteigen. »Ich wollte ihnen ins Gesicht sehen«, sagte er.
    Er ließ sich von der Polizei mit Wanzen ausstatten und begab sich auf die Suche. In eine Welt, in der man sich mit Andeutungen, mit Halbsätzen und mit Schweigen verständigt. Eine Suche unter Freunden. Freunde, die wichtige Freunde haben. Freunde, die man in der dritten Person Plural anspricht, mit Vossia , Euer Ehren. Freunde, die man anflehen, beschwören und manchmal auch bedrohen muss. Ohne sie jedoch in ihrer Ehre zu verletzen.
    Mario Caniglia begann seine Suche bei dem Wächter seiner Orangenplantage: »Du musst mir helfen, ich will zahlen, aber ich weiß nicht, bei wem.« Der Wächter verstand. Schließlich ging es doch nur darum, eine kleine Gefälligkeit zu erweisen. Wenige Tage später hatte er ein Treffen mit einer wichtigen Person in dem Orangenhain arrangiert. Mario Caniglia winselte um Hilfe, und die wichtige Person verkündete ihm, dass der Erpresser unweit seines Hauses wohne. Mario Caniglia kannte ihn, es war der Bruder einesinhaftierten Mafiosos. Als Mario Caniglia ihn traf, machte dieser ihm klar, dass er schon lange auf ihn wartete. »Es hat ja gedauert, bis du kommst«, sagte er.
    Bevor der Mafioso sich dem Geschäftlichen widmete, warb er zunächst um Verständnis für die eigene missliche Lage: Nachdem seine halbe Familie umgebracht worden sei und er selbst nur knapp einem Attentat auf einem Friedhof entkommen sei, habe er zum gegnerischen Clan überlaufen müssen, um zu überleben. So sei es dazu gekommen, dass er nun die Schutzgelder eintreiben müsse. Er zeigte Verständnis für die finanzielle Lage von Mario Caniglia, schließlich sei man kein Unmensch, und verlangte statt fünfhundert Millionen nur noch zwanzig. Als Gegenleistung versprach er ein sorgenfreies Leben: »Wenn dir ein LKW gestohlen wird, ersetzen wir ihn dir, wenn ein Traktor gestohlen wird, bringen wir dir einen neuen nach Hause.«
    Weil das Haus von Carabinieri umzingelt war, wurde Mario Caniglia mutig und begann zu feilschen: nur fünf statt zwanzig Millionen, als einmalige Zahlung. Und er wolle dem Boss selbst in die Augen schauen. Wenige Tage später wurde er angerufen: Der Boss möchte ihn sehen. Und als Mario Caniglia an dem verabredeten Treffpunkt eintraf, stand vor ihm ein junger Mann, der im Sommer am Strand Wasserskooter vermietete. Vielleicht war es das, was ihn am meisten erzürnte: Dass er von einem Niemand erpresst wurde. Von einem Nichts. Von einem, der nur dank der Angst der anderen mächtig ist. Mario Caniglia aber zeigte keine Angst, er ging aufs Ganze, er gab sich als ehemaliger Mafioso aus, drohte mit wichtigen Freunden und mit Krieg: »Es wird Tote auf beiden Seiten geben. Fünf Millionen. Das letzte Angebot.«
    Dann herrschte Stille. Wochenlang. »Die Stille bringt dich um«, sagte Mario Caniglia. Bei jedem vorbeirasendenMotorradfahrer sah er sich mit dem Gesicht in der eigenen Blutlache liegen. Abends saß die Familie in der Küche und belauschte das Nichts. Jedes Klappern, jedes Klirren wurde zur Bedrohung. Wenn der Wind einen Fensterladen zuschlug, glaubten sie, sterben zu müssen.
    Die Polizei
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