Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone
Autoren: Reski Petra
Vom Netzwerk:
ich zusammenarbeiten sollte, hieß Shobha und wartete am Flughafen auf mich. Sie trug Minirock.
    Als mein Telefon klingelt, stehe ich auf dem kleinen, marmornen Balkon meines Hotelzimmers gegenüber vom Teatro Massimo und beobachtete einen Polizisten, der eine Straßenabsperrung in der via Maqueda bewacht. Er steht in dem Lichtkegel einer milden Herbstsonne und bewegt sich mit gestrafftem Oberkörper und erhobenen Kopf, als wollte er Flamenco tanzen, er streckt die Arme graziös über den Kopf und führt die Trillerpfeife mit abgespreiztem, kleinem Finger zum Mund. Der Polizist schillert in seiner weißen Uniform wie eine Erscheinung. Palermo schwimmt im Azur des Himmels, und das Teatro Massimo wirkt wie eine überdimensionale, ockerfarbene Hutschachtel. Die Kutscher vor dem Theater sitzen zeitunglesend in ihren Kutschen, und über die via Maqueda sind Glitzergirlanden für eine Prozession gespannt, Glühbirnengirlanden, die aussehen wie Diademe. Es riecht, wie es immer riecht in Palermo. Nach Abgasen und Bratfett. Und nach Jasmin. Nach Verwesung. Und nach der dunklen Erde Afrikas.
    Am anderen Ende der Leitung ist meine Freundin Shobha, die Fotografin, mit der ich seit jener ersten Reportage zusammenarbeite. »Ben tornata«, ruft sie, willkommen zurück, ganz so, als gehörte ich hier hin. Als sei ich in Palermo zu Hause und endlich wieder zurückgekehrt. Sie will mich nach Corleone begleiten. Es gefällt mir, die letzten Kilometer dieser Reise mit ihr zu machen. Wenig spätersitzt sie neben mir im Alfa Spider, sagt anerkennend: »Endlich mal ein schönes Auto«, und wir lachen wie die Kinder.
    Auf dem Weg nach Corleone fahren wir durch Brancaccio, jenes Viertel, in dem die Kirche von Padre Puglisi steht, dem Priester, der von der Mafia ermordet wurde. Ich erzähle Shobha davon, dass der Duisburger Pfarrer Lücking diese Gedenkstätte wenige Wochen vor dem Mafiamassaker von Duisburg besucht hat. Und Shobha sagt: » Fatalità« , obwohl sie nicht an den Zufall glaubt. Vielleicht ist es tatsächlich kein Zufall gewesen. Genauso wenig, wie es Zufall ist, dass der Mörder von Padre Puglisi, Gaspare Spatuzza, jetzt zu den Hauptbelastungszeugen von Silvio Berlusconi wurde, als er in den Ermittlungen über die trattativa aussagte. »Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele: hier erst ist der Schlüssel zu allem.« Goethe war noch nie so aktuell.
    In Palermo war es, wo zum ersten Mal gegen die Politiker ermittelt wurde, die mit der Mafia zusammenarbeiten. Gegen Don Vito, den Vater von Massimo Ciancimino, gegen Andreotti, gegen Marcello Dell’Utri. Und dafür werden die Staatsanwälte von Palermo bis heute diffamiert. Jakobiner seien sie, heißt es dann, rote Roben, Kommunisten allesamt, bis hin zum »anthropologischen Anderssein«, das Berlusconi ihnen vorwarf.
    Einer, der die Staatsanwälte von Palermo auf sehr hintergründige Weise geschmäht hatte, war der Jesuitenpater Pintacuda. Er war einer der Protagonisten des Palermitanischen Frühlings und spiritueller Mentor des ehemaligen Bürgermeisters Leoluca Orlando gewesen, mit dem er zusammen die Partei La Rete , das Netz, gegründet hatte. Später wechselte Pintacuda umstandslos die Seiten: Er beriet in Palermo Berlusconis Forza Italia.
     
    Jesuitenpater Pintacuda hatte sein Büro im Castello Utveggio, einer flamingofarbenen Burg hoch auf dem Monte Pellegrino, höher noch als die Grotte, in der die heilige Rosalia, Palermos Schutzpatronin, begraben liegt. Als ich den Padre traf, saß er unter einem konfettibunten Bild, das seine verblichene Partei symbolisieren sollte, und blickte auf einen goldfunkelnden, pinkfarbenen Alptraum aus Totenköpfen und zähnefletschenden Mäulern, der den Titel »la strage« trug, das Blutbad, und der an das Attentat an den Richtern Giovanni Falcone und Paolo Borsellino erinnern sollte.
    Die Beziehung der Italiener zum Himmel sah er sehr nüchtern. »Wissen Sie, katholisch zu sein, heißt in Italien nicht automatisch christlich zu sein«, sagte er. Für viele sei es einfach eine Gewohnheit. Und was den Willen zum Verzeihen, zur Amnestie, zum schnellen Vergessen betreffe, so verberge sich dahinter weniger der katholische Drang zum Verzeihen, als ein normales Phänomen der Massenpsychologie, demzufolge auf große historische Momente eine große Müdigkeit folge. Anfang der neunziger Jahre sei im Zuge der Aufdeckung des Schmiergeldskandals tangentopoli die moralische Frage sehr lebendig gewesen, aber dann habe doch die Müdigkeit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher