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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone
Autoren: Reski Petra
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freundlich. Und wischt mit der Hand über den Konferenztisch.
    »Ja«, sage ich. Und frage mich, ob das wirklich die Geschichte von der Mutter ist, die nichts anderes wollte als einen Ort, an dem sie ihren toten Sohn beweinen könnte. Ich frage mich, ob mir eine trauernde Mutter gegenübersitzt. Oder eine Beinahemörderin. Eine Rächerin. Für die nur das Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut für Blut zählt. Und wie es dazu kommen konnte, dass es hier so leicht klingt, so leicht und so ungeheuerlich zugleich, jemanden umzubringen. Ihn um die Ecke zu bringen, farlo fuori , wie es auf Italienisch heißt.
    Die eisige Luft der Klimaanlage ist in meine Glieder gekrochen. Als ich aufstehe, fühle ich mich wie betäubt, als sei ich gerade aus einem Alptraum erwacht. Ich bin erleichtert, als wir endlich den Konferenzraum und die Kanzlei verlassen. Signora Donato läuft neben mir zum Parkplatz, in jenem seltsam wankenden Gang, den sie ihrer Hüftkrankheit verdankt. Die Luft draußen ist warm und feucht, Schirokko.
    Als wir uns verabschieden, frage ich die Signora, ob sie nicht erleichtert war, als sie die sterblichen Überreste ihres Sohnes endlich beerdigen konnte.
    »Den Knochen, meinen Sie?«, fragt Signora Donato und winkt ab. »Nein, nein, den habe ich nicht. Den wollte ich auch gar nicht. Die ’Ndranghetisti hätten mir doch unsere Gruft kaputt gemacht. Der ist noch im gerichtsmedizinischen Institut in Messina. Sie brauchten doch neue DNA-Proben für den Prozess.«
    Später, als ich mit meiner Freundin Francesca beim Abendessen sitze, stellt sich heraus, dass die Mutter, über die in Rom gesprochen wurde, eine andere war.
    Wir sitzen an einem großen Tisch, zusammen mit Freunden, die meine Freundin zusammengerufen hat. Alles Antimafiaaktivisten. Der Don und die Anwältin sind da, ein weiterer Priester, ein Geschäftsmann, der eine Organisation gegen die Schutzgelderpressung auf die Beine gestellt hat, außerdem der ehemalige Chef der parlamentarischen Antimafiakommission, und später taucht sogar noch der Bürgermeister von Lamezia Terme auf. Ihm ist gerade die Aufgabe zugefallen, vierhundert Häuser abzureißen, die von der ’Ndrangheta errichtet wurden und die ein Gericht nun für illegal erklärt hat.
    Der Geschäftsmann, der gegen die Schutzgelderpressung kämpft, erzählt eine kleine Episode aus seinem Arbeitsalltag. Ein Mann sei in ein Versicherungsbüro gekommen und habe gesagt: Ich habe nur fünf Euro in der Tasche. Können Sie mir hundert geben? Die Bosse machten sich nicht mal mehr die Mühe, jemanden einzuschüchtern, um Schutzgeld zu erpressen.
    An den Nebentischen sitzen die Leibwächter. Die Leibwächter für den Bürgermeister von Lamezia Terme, die Leibwächter für den ehemaligen Präsidenten der Antimafiakommission, die Leibwächter für den Mann, der gegen die Schutzgelderpressung kämpft.
    Wir trinken den fast schwarzen kalabrischen Rotwein. Wer unsere Gespräche nicht hört, könnte meinen, wir wären eine lustige Tischgesellschaft.

15
    Wenn ich die Hand ausstrecke, kann ich Sizilien berühren. Ich stehe auf der Autofähre nach Messina, die uns über jenen Meeresspalt hinweg tragen soll, der Sizilien vom Festland trennt, vom Kontinent, wie es in Sizilien heißt. Reggio Calabria liegt hinter mir, in der Ferne verschwindet seine Uferpromenade im Dunst mitsamt seinem marmornen Triumphbogen und dem nur wenige Meter entfernten Polizeipräsidium, das am meisten fotografierte Gebäude in Reggio Calabria. Jedes Mal, wenn es zu Verhaftungen von Bossen kommt, stehen vor dieser Treppe Journalisten, Kameraleute und Fotografen und warten darauf, dass die inhaftierten ’Ndranghetisti am Ende der Verhöre in Handschellen die Treppe hinuntergeführt werden, um in die bereitstehenden Polizeiwagen zu steigen, die sie in das Gefängnis bringen. Die Strangio-Schwestern schritten die Treppe wie Märtyrerinnen mit stolz erhobenen Häuptern herab, andere aus dem Clan von San Luca versuchten ihre Gesichter zu verbergen, andere spuckten aus und verfluchten die Journalisten.
    Nachdem der Boss Giuseppe Tegano, Chef eines der mächtigsten Clans von Reggio Calabria, nach siebzehn Jahren im Untergrund festgenommen worden war, standen nicht nur Fotografen da, sondern auch unzählige Kalabresen.Als er von zwei maskierten Polizisten herabgeführt wurde, brach Jubel aus. Die allerdings nicht der erfolgreichen Polizeiaktion galt. Sondern dem Boss. »Er ist ein Mann des Friedens«, schrie eine Frau gellend, »des Friedens, des
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