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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone
Autoren: Reski Petra
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Friedens!« Die Menge applaudierte, und manche hielten ihre Kinder hoch, als schreite der Papst vorbei.
    Als ich die Szene in den Fernsehnachrichten sah, musste ich an Renato Cortese denken, den Leiter des Mobilen Einsatzkommandos von Reggio Calabria. Was er gedacht haben mag, als der Jubel für den Boss ausbrach? Vermutlich kann ihn nichts mehr überraschen, wahrscheinlich dachte er an die nächste Verhaftungswelle.
    Die Verhaftung der mutmaßlichen Killer von Duisburg ist nicht der einzige Erfolg von Renato Cortese. An der Wand seines Büros hängt eine auf Pergamentpapier mit schwarzer Tinte kalligraphierte Lobrede auf Corteses Meisterstück, die Gefangennahme des über vierzig Jahre flüchtigen Mafiabosses Bernardo Provenzano in Corleone. Renato Cortese, der demütige Staatsdiener im Kampf gegen die Geißel Mafia, wird gewürdigt, von Opfermut ist die Rede, von Leidenschaft und von Mission. Hartnäckig habe Cortese ein ehrgeiziges Ziel verfolgt.
    Und genau an dieser Stelle wurde der Kalligraph berichtigt: Das »ehrgeizige« wurde mit blauem Kugelschreiber hinzugefügt. Denn eigentlich stand da: »ein anmaßendes Ziel«.
    Das Übersetzen nach Sizilien dauert zwanzig Minuten. Ein Gespinst aus Nebel liegt über dem Meer. Ich gehe hoch auf das Deck, wo sich die Raucher fröstelnd ihre Zigaretten anstecken. Neben mir steht ein altes Ehepaar, Emigranten auf Heimatbesuch, Kalabrier mit amerikanischem Firnis. Die Frau hat silbergraue Haare mit einem starken Stich ins Violette. Sie trägt einen rosafarbenen Jogginganzugund zieht unaufhörlich an ihrer Zigarette und an ihrem Mann, der eine Baseballkappe trägt und orthopädisch geformte Sportschuhe. Sie sprechen kalabrischen Dialekt und fallen häufig ins Amerikanische. Sie betrachten die Küste von Reggio Calabria wehmütig, als ahnten sie, dass diese Reise ihre letzte sein würde.
    Später, auf der Autobahn Richtung Palermo, fahre ich an Orangenplantagen vorbei, Blutorangen. Damals, als ich mit dem alten Renault vier hier ankam, war der Anblick der Orangenbäume für mich ein Schlüsselerlebnis. So wie die Palme für Goethe. Ich konnte nicht ahnen, dass ich viele Jahre später die Orangenbäume mit einer ganz anderen Geschichte verbinden sollte. Mit der des Orangenbauern Mario Caniglia.
    Ich traf ihn in seinem Heimatdorf, Scordia, einem Dorf westlich von Catania. Blutorangen wachsen nur hier. Der Wind war warm und afrikanisch und wurde ab und zu vom Diesel eines durchfahrenden Lasters durchzogen, als ich an der verabredeten Stelle auf das Auto des sizilianischen Orangenbauern wartete. Ich hielt nach einem lehmverdreckten Fiat Punto Ausschau. Oder einem alten Renault. Als dann aber ein graphitgrauer Alfa Romeo hielt, aus dem zwei junge Männer heraussprangen und mich baten, ihnen zu folgen, glaubte ich an eine Verwechslung. Bis ich hörte, wie die Türen ihres Alfa Romeos mit jenem schweren Klang zufielen, der einem Tresor eigen ist. Mario Caniglia baut seine Orangen unter Polizeischutz an. Weil er sich geweigert hatte, Schutzgeld zu bezahlen.
    Die Leibwächter des Orangenbauern fuhren schnell. Sehr schnell. Durch eine Landschaft aus Orangenhainen und Zement. Aus Industrieruinen und wildem Fenchel. Aus Dornenbüschen und einem verlassenen Bahnhofsgebäude. Vorbei an den Feldern mit roter Erde und Olivenbäumen,vorbei an Mauern aus verwitterten Feldsteinen, bis sie schließlich an einer Lagerhalle ankamen, vor der zwei Carabinieri warteten – mit Maschinenpistolen, die sie so beiläufig hielten wie ein Gärtner seine Gießkanne. Hinter ihnen tauchte Mario Caniglia auf, der Orangenbauer. Ein kleiner, kompakter Mann in einem türkisfarbenen Trainingsanzug.
    Der Schädel des Orangenbauers war kahl und braungebrannt, und seine Hände waren so groß, dass sie kaum in seine Hosentaschen passten. Eilig führte er mich durch sein Reich, vorbei an den Paletten mit den Orangenkisten, an der Sortieranlage, in das Orangenkühlhaus und in sein Büro, in dem die gleiche Temperatur wie im Orangenkühlhaus herrschte und in dem das Bild der Mutter Teresa der einzige Schmuck war.
    Er bot mir Espresso an und erzählte wie einer, der keine Zeit mehr zu verlieren hat. Und der keinen Widerspruch duldete. Er faltete die großen Hände ineinander und sprach in einfachen, klaren Sätzen. In Sätzen, die klangen wie für ein Lesebuch gemacht.
    Alles begann mit einem Telefonat. Am Abend. Eine Stimme sagte zu ihm: »Verdammter Gehörnter, entweder bezahlst du fünfhundert Millionen Lire oder wir
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