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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone
Autoren: Reski Petra
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unausweichlichen Ende entgegengewunden habe, das für solche Geschichten hier vorgesehen sei. Und dennoch habe Signora Donato versucht, den Lauf der Dinge aufzuhalten. Sie habe sie angerufen, SIE, in Großbuchstaben, so nennt sie die Geliebte ihres Sohnes bis heute, und manchmal sagt sie auch: »diese Frau«. Signora Donato habe es erst im Guten versucht, dann im Bösen. Sie habe sie angeschrien. Schreiend habe sie ihr klarzumachen versucht, dass man den Mann nicht betrügen dürfe, weil es sonst schlimm endete. Aber nichts sei geschehen. Jedenfalls nichts, was sie hätte hoffen lassen. Immer wieder sei SIE aufgetaucht. Zuletzt auf einer Reise ihres Sohnes nach Assisi, auf der Rückfahrt wollte er in San Giovanni Rotondo beten, der Wallfahrtsstätte von Padre Pio. Später habeSignora Donato erfahren, dass sie auch dabei gewesen war, auf dieser Reise nach Assisi und zu Padre Pio. Diese Frau. Die selbst dann nicht von ihrem Sohn habe lassen wollen, nachdem der Boss, ihr Mann, aus dem Gefängnis entlassen wurde.
    Als Signora Donato das erfuhr, habe sie gedacht: Es ist alles vorbei, das ist das Ende. Aber sie habe es noch einmal versucht. Sie habe ihren Sohn noch nicht für verloren erklären wollen. Etwas Vernunft musste doch möglich sein. »Ihr Mann wird sie nicht anrühren«, habe Signora Donato zu ihrem Sohn gesagt, »aber dich, dich wird er anrühren. Du wirst einen Unfall mit einem LKW haben, irgendetwas wird passieren.« Aber Santo habe die Stimme seiner Mutter nicht mehr gehört. Am 9. Juli 2002 verschwand er. Und SIE sei es gewesen, die sie anrief, seine Mutter, um zu erfahren, wo Santo sei. Und sie, seine Mutter, habe nicht mal gewusst, wie ihr Sohn angezogen war, als er verschwand. Ob er ein weißes T-Shirt trug oder ein kariertes Hemd.
    Schließlich habe sie den Anwalt angerufen. Er fragte im Krankenhaus nach, die Carabinieri, die Finanzpolizisten. Niente . »Santo kehrt nicht mehr zurück, ich fühle es«, habe sie zu einem maresciallo dei carabinieri gesagt, dem Einzigen, dem sie vertraute. Nach zwei Tagen gab sie eine Vermisstenanzeige auf. Und dann suchte sie nach ihrem Sohn, vierzig Tage lang, vierzig Nächte. Sie war überzeugt, dass der Boss und sein Bruder ihren Santo umgebracht hätten. Auch wenn die wahre Mörderin SIE gewesen sei.
    Als die Signora auf der Suche war, habe sie sich eine Perücke aufgesetzt, einen Wagen gemietet und der Momente gedacht, in denen ihr Sohn mit ihr gesprochen hatte, voller Zärtlichkeit. Sie habe zur Madonna gebetet: Du hast ihn mir geschenkt, du musst ihn mir zurückgeben. Sie habe Tagebuch geführt. Die Mörderin, das sei SIE, wiederholteSignora Donato. Aber schon damals habe sie niemand hören wollen.
    Einer der Helfershelfer der Bosse musste wissen, wie ihr Sohn umgebracht worden war. Ihn wollte sie zum Reden bringen. »Ich wollte ihm auflauern«, sagt Signora Donato. »Ich wollte ihn an einem Baum erhängen, bis er die Wahrheit sagt.«
    So habe sie den Hinterhalt vorbereitet. Zusammen mit den Kindern aus der ersten Ehe ihres verstorbenen Mannes. Sie wollte so tun, als hätte sie eine Reifenpanne. Und wenn das Opfer anhalten und ihr seine Hilfe anböte, wollte sie den Kindern ein Zeichen geben.
    Sie hatte die Reifenpanne, der Mann hielt und bot ihr an, den Reifen zu wechseln. Aber dann sei da etwas gewesen, was sie davon abgehalten habe, den Kindern das verabredete Zeichen zu geben. Zum Mord. Denn etwas anderes wäre es ja nicht gewesen.
    »Und dann wären wir natürlich nicht mehr aus dem Gefängnis rausgekommen«, sagt Signora Donato. »Mit einem Mord auf dem Gewissen.«
    »Ja«, sage ich. Und klinge so, als hätte Signora Donato gerade erwähnt, dass sie lieber Fisch statt Fleisch esse. Und während Signora Donato weiterredet, davon, wie sie Vertrauen gefasst habe in den maresciallo der Antimafiaeinheit von Catanzaro, der ihr versprach, ihren toten Sohn wiederzufinden, starre ich auf die kurzen, kräftigen Finger der Signora Donato, die immer noch die Handtasche umklammern.
    Vier Jahre nach dem Verschwinden ihres Sohnes, im Jahr 2006, wurde schließlich sein Schlüsselbein gefunden. Nicht mehr. Der Rest sei vermutlich von Wildschweinen aufgefressen worden. Der Helfershelfer, der kurz davor gewesen war, von der Signora erhängt zu werden, wurdewenig später verhaftet, mangels Beweisen wieder freigelassen. Und entschloss sich dann aber überraschend, mit der Justiz zusammenzuarbeiten.
    »Ich hätte ihn sonst doch noch um die Ecke gebracht«, sagt Signora Donato
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