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Wie ein stummer Schrei

Wie ein stummer Schrei

Titel: Wie ein stummer Schrei
Autoren: Dinah McCall
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PROLOG
    L ake Texoma, im Norden von Dallas, Texas
    Marshall Baldwin benutzte den Vorschlaghammer mit dem gleichen kaum vorhandenen Feingefühl, das sein ganzes Leben prägte. Er war stets ein Mann gewesen, der die Dinge in die Hand nahm, und daran konnte auch die Tatsache nichts ändern, dass er vor kurzem in den Ruhestand gegangen war. Genaugenommen war es seitdem nur noch schlimmer geworden, denn ihn trieb die Angst an, jemand könnte ihn für “zu alt” halten, um sein Leben noch selbst zu regeln. Jetzt lief ihm der Schweiß in Strömen übers Gesicht, während das Mauerwerk unter den Schlägen des Hammers allmählich nachgab.
    Nach den alten Kabeln und der mangelhaften Wärmedämmung in dem alten Cottage zu urteilen, das er erst vor kurzem gekauft hatte, war eine gründliche Renovierung längst überfällig. Außerdem hielt ihn diese Arbeit hervorragend davon ab, ständig darüber nachzudenken, dass man ihn wie einen alternden Zuchtbullen auf die Weide geschickt hatte, der sein Geld nicht mehr wert war. Für Marshall stellte der fünfundsechzigste Geburtstag kein Problem dar, aber er hasste es wie die Pest, deswegen auch gleich als alt angesehen zu werden. Seinen Frust darüber ließ er an den Wänden aus, die er mit dem Vorschlaghammer einriss.
    Gerade holte er zum nächsten Schlag aus, als seine Frau Pansy hereinkam, mit der er seit dreiundvierzig Jahren verheiratet war. Einen Moment lang stand sie da, betrachtete das Gesicht ihres Ehemanns, dann seufzte sie.
    “Marshall, ist dieser Lärm denn wirklich nötig?”
    Er hielt in seiner Bewegung inne und versuchte, ihr keinen verärgerten Blick zuzuwerfen. Schließlich war es nicht Pansys Schuld, dass man ihn in den Ruhestand getrieben hatte.
    “Ja”, gab er zurück und schlug wieder auf die Wand ein.
    “Maaarrsshhaaall!”
    Während ein Regen aus zerschlagener Rigipsplatte und Mauerwerk auf seine leuchtend grüne Kappe niederging, presste Marshall die Lippen zusammen. Warum konnte sie nicht einfach einkaufen gehen oder irgendetwas anderes unternehmen? Wie sollte er den Rest seines Lebens ertragen, wenn sie ihn keinen Moment mehr aus den Augen ließ?
    Gerade wollte er erneut ausholen, als Pansy sein Handgelenk packte und ihn stoppte. “Marshall, ich versuche, mit dir zu reden.”
    Der Hammer rutschte ihm aus der Hand und fiel mit lautem Knall auf den Holzboden. Ehe Marshall seinem Ärger Luft machen konnte, geriet irgendetwas in der Wand in Bewegung und rutschte zwischen den Holzbohlen ein Stück weit nach unten, bis es aus seinem Blickfeld verschwunden war. Er konnte nur noch erkennen, dass es sich um etwas Rechteckiges, Braunes handelte.
    “Hast du das gesehen?” fragte er.
    Pansy nickte. “Was glaubst du, was das war?” Dann packte sie wieder Marshalls Arm, diesmal jedoch vor Begeisterung. “Oh, Marshall! Stell dir vor, wir haben vielleicht einen Schatz entdeckt! Müssen wir den dann zurückgeben?”
    Stirnrunzelnd versuchte Marshall, einen Blick in die Öffnung zu werfen. “Auf keinen Fall. Wir haben das Haus wie besichtigt gekauft. Was wir hier finden, gehört uns.”
    “Kannst du irgendetwas erkennen?”
    “Nur einen Umriss.”
    “Versuch doch mal, ob du rankommst”, rief sie aufgeregt.
    Er schob einen Arm in die Öffnung in der Mauer, griff nach unten und strich über eine Kante des Objekts, bis er auf der ledernen Struktur etwas Metallenes ertastete. “Das könnte ein Koffer sein.”
    Pansy stieß einen begeisterten Schrei aus und hüpfte hin und her. Das hätte zwar besser zu einem jungen Mädchen gepasst, doch es gelang ihr auch mit ihren über sechzig Jahren noch recht gut. Ihre Begeisterung war sogar so ansteckend, dass Marshall unwillkürlich lächeln musste.
    “Freu dich nicht zu früh”, warnte er sie. “Vielleicht ist der Koffer leer.”
    “Ganz sicher nicht”, erwiderte sie. “Warum sollte sich denn jemand die Mühe machen, einen leeren Koffer in einer Wand zu verstecken?”
    Er musste ihr Recht geben, sagte aber nichts, da er versuchte, den Koffer zu fassen. Dann endlich hatte er den Griff gefunden, doch als er zu ziehen begann, musste er einsehen, dass die Öffnung in der Mauer nicht groß genug war. Widerwillig ließ er los.
    “Das Loch ist zu klein”, murmelte er.
    Pansy zeigte auf den Vorschlaghammer, den sie ihm eben noch aus den Händen hatte reißen wollen. “Dann mach es größer.”
    Genau das tat er auch, und als er ein paar Minuten darauf einen erneuten Versuch wagte, bekam er den Koffer frei.
    “Oh,
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