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Wie ein stummer Schrei

Wie ein stummer Schrei

Titel: Wie ein stummer Schrei
Autoren: Dinah McCall
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haben?”
    Mit zitternden Händen gab sie ihm die Zeitung zurück. “Weil der Gerichtsmediziner sagt, dass das Mädchen zwei linke Daumen hatte.”
    Marcus ließ die Zeitung zu Boden fallen, griff nach Olivias Hand und rieb gedankenverloren über die winzige Narbe an der Stelle, an der sich ihr zweiter Daumen befunden hatte.
    “Wir sind nicht die einzige Familie, bei der eine solche Anomalie auftaucht. Warum suchen sie sich ausgerechnet uns heraus?”
    Olivia zeigte auf die Zeitung, musste sich aber erst räuspern, ehe sie etwas sagen konnte. “Die Polizei glaubt, das Mädchen wurde vor etwa fünfundzwanzig Jahren getötet … zu der Zeit, als man mich entführt hatte.”
    Nach einer kurzen Pause drückte er Olivias Hand noch etwas fester, dann sagte er barsch: “Das beweist doch nur, dass Tragödien jeden treffen können.”
    Lange Zeit schwiegen sie beide, schließlich sagte Olivia leise: “Grampy?”
    “Was denn?” erwiderte er automatisch, während seine Gedanken immer noch um den Zeitungsartikel kreisten.
    “Warst du dir sicher?”
    Verdutzt blickte er auf. “Sicher? Wie meinst du das?”
    “Als die Kidnapper mich freiließen … warst du dir da sicher, dass ich es wirklich war?”
    Er stand abrupt auf und nahm sie in die Arme. “Aber, Olivia. Natürlich war ich mir sicher. Du bist mein Enkelkind. Deine Eltern kamen jeden Sonntag zum Essen zu mir. Du und ich, wir beide fütterten nachmittags die Goldfische im Teich. Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, an dem ich dich die Blüten von allen Begonien abpflücken ließ, weil die sich auf deiner Haut so sanft anfühlten. Ich wusste, du bist es, Darling. Und ich weiß es immer noch. Du darfst niemals glauben, du könntest nicht mein Fleisch und Blut sein.”
    Olivia musste ihre Tränen zurückhalten, während sie sich an ihn drückte.
    “Es tut mir Leid, dass ich das gefragt habe. Aber wir haben nie darüber gesprochen, und ich wusste nicht …”
    Marcus fasste sie an den Schultern und schob sie ein Stück weit nach hinten, bis er ihr ins Gesicht sehen konnte.
    “Darling, wir reden nie darüber, weil es nichts zu reden gibt. Du warst noch so klein, gerade mal zwei Jahre alt. Zum Glück kannst du dich nicht daran erinnern, wie deine Eltern ermordet wurden und wo du von wem festgehalten wurdest. Das ist das einzig Gute an dieser schrecklichen Sache. Und ich möchte nicht darüber reden, weil ich fürchte, es könnte dir schaden.”
    “Grampy, es tut mir Leid. So habe ich das nie gesehen.”
    Lächelnd legte er die Hände um ihr Gesicht. “Du weißt, wer du bist. Überall in diesem Haus gibt es Fotos, die dich und deine Eltern zeigen. Außerdem holen wir doch mindestens einmal im Jahr die alten Alben hervor und sehen sie uns gemeinsam an, nicht wahr?”
    Sie nickte bestätigend. “Und die alten Filmaufnahmen”, fügte sie dann an.
    “Ja, genau. Dein Vater war völlig vernarrt in dich. Er hat dich immer gefilmt. Ich möchte fast sagen, du bist in deinen ersten beiden Lebensjahren auf mehr Aufnahmen festgehalten worden als manche Menschen in ihrem ganzen Leben. Und es gibt keinen Zweifel daran, dass du das Baby bist, das auf den Fotos und in den Filmen zu sehen ist.”
    “Als die Entführer mich freigelassen hatten … war ich da glücklich, dich wiederzusehen?” fragte sie.
    “Du warst überhaupt nicht glücklich, Darling”, antwortete er ernst. “Und das hatten die Ärzte auch nicht anders erwartet. Du hast tagelang geweint und immer nur nach deiner Mutter gerufen. Das hat mir fast das Herz gebrochen.”
    Olivia legte den Kopf an die Brust ihres Großvaters, da sie Trost suchte. “Wie hast du es ausgehalten?”
    “Ich stellte ein Kindermädchen ein, weißt du noch? Anna Walden. Sie schaffte es, dass du langsam wieder zu Kräften kamst und irgendwann auch wieder ein Lächeln über deine Lippen huschte.”
    “Da fällt mir ein, es ist ewig her, seit ich Anna das letzte Mal besucht habe.” Auf einmal legte sie die Stirn in Falten. “Glaubst du, die Reporter werden sie wegen dieses Kindes belästigen?”
    “Ich weiß nicht, aber wenn einer von ihnen auf diese Gedanken kommt, wird man ihr keine Ruhe lassen”, antwortete Marcus. “Ich werde mir mal ein paar Stunden freinehmen und mit dir raus nach Arlington fahren, doch das muss noch ein wenig warten. Ich möchte zwar keine Minute unseres Urlaubs missen, allerdings fürchte ich, dass sich sehr viel Arbeit angesammelt hat, die erledigt werden will.”
    Olivia deutete auf die Zeitung,
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