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Verrat der Finsternis

Verrat der Finsternis

Titel: Verrat der Finsternis
Autoren: P. C. Cast
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1. KAPITEL
    Aine gefiel die Ironie: Sie, die Heilerin, benetzte eine Urne, um Wasser für ihren Heilkräutergarten zu schöpfen. Es war eine wunderschöne Urne, groß und elegant, mit einem gezackten Rand und einem geschwungenen Griff an einer Seite. Die aufgemalte Szene war schwarz umrahmt, wie üblich für Eponas Urnen. Doch Aine fand dieses Exemplar besonders schön. Die Auserwählte der Göttin lag wie hingegossen auf einem Diwan und hielt ihren ausgestreckten Arm in einer königlichen Geste in Richtung der versammelten Bittsteller, deren Zug sich einmal um die ganze Urne wand. Das volle kastanienbraune Haar fiel der Hohepriesterin wie ein Wasserfall über den Rücken.
    Es war albern, dass etwas so Schönes einzig und allein dem trostlosen Zweck dienen sollte, auf den Gräbern Trankopfer darzubringen oder, noch schlimmer, die Asche der Toten aufzubewahren. Deshalb hatte Aine sie „gerettet“.
    Schade, dass sie niemand von der trostlosen Aufgabe befreien würde, die sie übernommen hatte.
    „Nein“, murmelte Aine. „Nicht die Arbeit ist trostlos. Es ist dieser Ort hier.“ Sie saß am Rand ihres Kräuterbeets und sah sich um. Seit über fünf Mondphasen war sie nun in der Wachtburg, aber sie hatte sich immer noch nicht an das überwältigende Grau gewöhnt. Die Burg war grau. Der Gebirgspass durch die Berge, an deren Fuß die Burg stand, war grau. Der Herbsthimmel war grau. Aine seufzte. „Bei Epona! Sogar die Menschen sind grau.“
    Sie wusste, dass die Burg aus einem bestimmten Grund errichtet worden war: damit der Pass zwischen dem Brachland und Partholon bewacht werden konnte. Die dämonischen Fomorianer, die ins Ödland verbannt worden waren, sollten nie wieder in Partholon einfallen können. Auch wenn seit Generationen kein Fomorianer mehr gesichtet worden war, war es ihre Aufgabe, Wache zu halten. Darum ging es hier, am Rande der Zivilisation, in erster Linie nicht um die Schönheit, Farbe oder all die Dinge, die Partholon zu einem so wunderbaren, gottgesegneten Land machten. Es ging um Schutz und Verteidigung.
    Es fiel Aine nur so schwer, sich an diesen nüchternen Ort zu gewöhnen, nachdem sie vier volle Jahreszeiten im prächtigen Tempel der Musen in der Kunst des Heilens unterrichtet worden war. Dort war Aine von den talentiertesten, schönsten und klügsten Frauen Partholons umgeben gewesen.
    Camenae, ihre Mentorin, hatte sie davor gewarnt, dieses einsame Amt anzunehmen, aber Aine hatte gewusst, dass sie in die Wachtburg gehörte. Genau wie sie gewusst hatte, dass es ihre Bestimmung war, Heilerin zu werden.
    Doch seit Aine an der Wachtburg angekommen war, fühlte sie sich so unwohl, dass sie angefangen hatte, ihre Intuition infrage zu stellen, dieses Wissen , das ihr bisher immer so gut genutzt hatte. Ruhelos zupfte Aine an ein paar Minzestängeln und sog den besonderen Duft der Pflanze tief ein. Sie musste aufhören, alles zu hinterfragen. Nicht ihre Intuition war das Problem, sondern die Menschen hier waren es. Sie fühlten sich „falsch“ an. Sie waren innerlich wie äußerlich so farblos wie die Landschaft, in der sie lebten.
    Zumindest galt das für die menschlichen Bewohner der Burg. Aine hatte erst eine Freundin gefunden, seit sie ihre Rolle als Heilerin der Wachtburg angenommen hatte. Sie und die Zentaurin Maev, die erst vor Kurzem zur Jägerin der Wachtburg berufen worden war, hatten sich auf Anhieb gut verstanden.
    „Vielleicht, weil wir hier die einzigen Flecken Farbe sind. Vielleicht habe ich deshalb so fest geglaubt, dass ich hierherkommen muss – um etwas Farbe ins Leben zu bringen.“
    Eine rabenschwarze Strähne war ihr über die Schulter gefallen, und Aine nahm sie zwischen die Finger. Sie lächelte, als das schwache Sonnenlicht ihr Haar in warmem Mahagoni und einem so tiefen Schwarz erstrahlen ließ, dass es beinah schon blau wirkte. Sie mit ihren dunklen Haaren und den überraschend saphirblauen Augen und Maev mit ihrer flammend kupferfarbenen Mähne und dem rotgrauen Fell hoben sich definitiv von den spülwassergrauen, milchigen Gesichtern der stets wie versteinert dreinschauenden Krieger und ihrer genauso langweiligen Frauen ab.
    Es war nur so seltsam. Bevor sie hier angekommen war, hatte sie keine Ahnung gehabt, wie blass alles und jeder sein würde. Aber woher hätte es der Rest von Partholon auch wissen sollen? Außer den Familien der Krieger und ein paar Händlern kam kaum jemand in die Wachtburg.
    Aine kamen die Bewohner der Wachtburg immer wie Schlafwandler vor.
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