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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone
Autoren: Reski Petra
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Giuseppe, der dünne Kellner meiner Jugend, bedient noch heute dort. Er sieht im Wesentlichen genauso aus wie früher, nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt. Immer noch zart und mit schwarzen Locken. Ich bestellte überbackene Muscheln, mehr aus Nostalgie, denn aus Überzeugung. Was die italienische Küche in Deutschland betrifft, habe ich, seitdem ich in Italien lebe, gewisse Vorbehalte.
    Ich sprach Italienisch und Giuseppe sprach Deutsch, wie immer. Ruhrgebietsdeutsch. »Hömma Petra, wie lange hamwa uns nich mehr gesehen?«
    Giuseppe behauptet, dass mein Italienisch besser sei als seines, und ich glaube, dass dies kein wohlfeiles Kompliment ist, sondern lediglich eine Feststellung; Giuseppe kam kurz nach seiner Geburt nach Deutschland, zu Hause sprach er nur sizilianischen Dialekt und in der Schule Deutsch. Er behauptet, Italienisch erst als Erwachsener gelernt zu haben – in der täglichen Arbeit als Kellner mit anderen Italienern. Es begeistert ihn, mich Italienisch sprechen zu hören, ein gewisser vaterländischer Stolz schwingt mit, wenn er hört, dass es mir gelingt, mit dem congiuntivo imperfetto umzugehen, und ich freue mich darüber, dass er stolz auf mein Italienisch ist, ganz so, als sei es sein Verdienst. Eine Zeit lang betrieb er ein eigenes Restaurant, und ich folgte ihm in treuer Freundschaft, wenngleich auch misstrauisch beäugt von seiner Frau, einer Sizilianerin aus Trapani, die hinter der Theke stand. Wenn ich mit meiner Mutter bei ihm zu Abend aß, gab er uns immer einen Sambuca aus – flambiert, mit zwei darin schwimmenden Kaffeebohnen.Als ich nach Italien zog, überraschte es mich sehr, zu erfahren, dass außer Deutschen niemand in einem Restaurant nach einem Sambuca verlangt, weil der Likör in Italien seit den sechziger Jahren in Vergessenheit geraten ist.
    Giuseppe zeigte mir die in Plastik eingeschweißten Fotos seiner vier Töchter, und ich zeigte ihm den Alfa Spider, der vor dem Restaurant stand. Giuseppe würdigte ihn mit einem gewissen Nationalstolz, als sei es eine besondere Gabe, die Eleganz eines Alfa Spider zu erkennen, so wie es nicht jedem gegeben sei, den congiuntivo dell’imperfetto fehlerfrei einzusetzen.
    Er beugte sich zu mir herab, fragte: »Und dammit fährse getz bis runter nach Sizilien? Echt?«, und erwähnte nebenbei, dass er im letzten August, als er mit seiner Frau und den Töchtern zur Familie nach Trapani fuhr, durchgefahren sei. Einen Tag und eine Nacht lang. Ein Rekord.
    Dann erzählte er von dem italienischen Sommerfest in Unna, das ein so großer Erfolg gewesen sei wie noch nie, weshalb es schade gewesen sei, dass ich es verpasst habe. Das Fest findet alle zwei Jahre statt, die italienische Lebensfreude wird mit Grappa und Limoncello und Rosmarinkartoffeln beschworen, die Fußgängerzone ist keine Fußgängerzone mehr, sondern ein Corso, der Marktplatz eine Piazza und überall sind Bühnen aufgebaut, auf denen Sänger stehen, die ihre Hemdkragen hochgestellt tragen und Azurro singen. Oder Felicità.
    Und während Giuseppe von Fahnenschwenkern aus Pisa, von apulischen Tarantellatänzern und Lichterbögen schwärmte, die jedem Prozessionszug zur Ehre gereicht hätten, erinnerte ich mich daran, dass Giuseppe sein Restaurant aufgegeben hatte, nachdem er zusammen mit seinem Geschäftspartner Antonio bedroht worden war. Genaueshat er mir nie erzählt, nur so viel, dass ein paar Sizilianer aus Paternò etwas Geld erpressen wollten. Mit Maschinenpistolen bewaffnet seien sie in Antonios Wohnung eingedrungen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen – während seine Frau im Schlafzimmer schlief. Allerdings hätten die Sizilianer nicht damit gerechnet, dass bei Giuseppe und Antonio das Vertrauen in die deutsche Polizei größer als die Angst war. Die Polizei installierte Fangschaltungen, und bei der Geldübergabe wurden die Erpresser festgenommen. Aber ungeachtet seines Vertrauens in den deutschen Rechtsstaat verkaufte Giuseppe kurz danach sein Restaurant – und arbeitete wieder als Kellner.
    Als ich ihn an die Geschichte erinnerte, blickte Giuseppe so zerstreut, als sei er gar nicht daran beteiligt gewesen. Als sei das, was damals vorgefallen war, eine Folge von Schimanski gewesen, in der er nur durch Zufall mitgespielt hatte, in einer unbedeutenden Komparsenrolle. Und an die er sich heute kaum noch erinnerte. Außer an die Szene bei der Geldübergabe. Als maskierte Polizisten sogar aus den Bäumen gefallen waren. Dann fügte er hinzu, dass es sich nicht um
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