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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone
Autoren: Reski Petra
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suggeriert: versteckt in undurchdringlichen Wäldern, Schlafen in zugigen Schäferhütten. Tatsächlich musste Bernardo Provenzano keineswegs auf sein Familienleben verzichten; über Jahre lebte die Familie Provenzano gut beschützt in einer komfortablen Wohnung mitten in Palermo, eine Zeit lang auch in Trapani. Zumindest vermutete das ein Sprachwissenschaftler, dem man Abhörprotokolle der Familie Provenzano vorspielte und der in dem Tonfall der beiden Söhne Provenzanos den Akzent Trapanis feststellte.
    Vielleicht hätte ich dem Direktor erklären sollen, dassBernardo Provenzano nicht irgendein Mafiaboss ist, sondern einer, dessen Terror das Leben und die Politik Italiens über Jahrzehnte bestimmt hat und noch bis heute bestimmt? Und dass die Söhne und die Frau von Provenzano deshalb im Jahr 1992 nach Corleone zurückkehrten, weil dies ein Schicksalsjahr war – für die Cosa Nostra und für Italien?
    Nach jahrzehntelanger Flucht tauchte Provenzanos Frau am 5. April 1992 mit den Söhnen wieder aus dem Nichts auf. Per Taxi. Gleich nach ihrer Ankunft wurden sie bei den Carabinieri vorstellig. Nicht weil die Familie den Beamten etwas mitzuteilen gehabt hätte, sondern weil Paolo und sein Bruder Angelo keine gültigen Papiere hatten. Nach eigenem Bekenntnis waren sie im Nirgendwo geboren, im Limbus, wie jene Seelen, die ohne eigenes Verschulden vom Himmel ausgeschlossen sind. Einem Nirgendwo, das bevölkert war von eilfertigen Priestern, die sie tauften, zur Kommunion führten und ihnen die Beichte abnahmen. Von verständnisvollen Lehrern, die ahnten, dass ihre Namen falsch waren, aber nichts Genaues wissen wollten. Von freundlichen Unternehmern, die dafür sorgten, dass es der Familie an nichts fehlte, von Carabinieri, die beide Augen zudrückten, von kommunalen Angestellten, die ihnen falsche Papiere ausstellten, von Regionalpolitikern, Anwälten und Lokalpolitikern. Und von Mafiosi, die ihnen als Chauffeure und Leibwächter, als Sendboten und als Familienersatz dienten.
    Für die Carabinieri in Corleone waren Angelo, Paolo und ihre Mutter nichts anderes als die Verwandten eines flüchtigen Mafiabosses, die wieder in ihre Heimatstadt zurückkehrten. Familienmitglieder ohne Vorstrafen, denen man nichts vorwerfen konnte. Familienangehörige sind unberührbar – sie machen sich selbst dann nicht strafbar,wenn sie mit einem international gesuchten Mafiaboss jahrelang in seinem Versteck gelebt haben. Angelo, der Ältere, war sechzehn Jahre alt, Paolo neun. Die Carabinieri stellten ein paar Fragen, durchsuchten das Gepäck der Familie und kamen zu dem beruhigenden Schluss, dass Bernardo Provenzano tot sein müsse: Warum sollten seine Frau und seine Söhne sonst wieder nach Corleone zurückkehren?
    Einen Monat später wurde der Staatsanwalt Giovanni Falcone ermordet. Zwei Monate später wurde sein Freund und Kollege Paolo Borsellino in die Luft gesprengt. Da hatten sich Angelo und Paolo Provenzano in das Leben von Corleone bereits so unauffällig wie zwei fehlende Steine in ein Mosaik eingefügt. Die Söhne von Provenzano hatten es nicht nötig, hervorzuheben, wer sie sind, näherte man sich ihnen doch auch so mit der gebotenen Ehrfurcht. Sie waren Kronprinzen der Cosa Nostra. Und sie kannten die Spielregeln. Sie waren von klein auf daran gewöhnt, ihr Leben dem Willen von Cosa Nostra zu unterwerfen. Ihre Familie zu repräsentieren. Sie waren damit aufgewachsen, die Welt in »sie« und »wir« zu teilen, in Menschen und Mafiosi.
    Paolos Bruder Angelo begann ein Studium der Kommunikationswissenschaften in Palermo und brach es dann ab, weil er sich lieber den Geschäften der Familie widmen wollte. Geld zu investieren. Er ließ sich als Landvermesser ausbilden, ein Beruf, der zu den beliebtesten in Italien gehört. Bebauungspläne sind eine Goldgrube. Vielleicht sollte ich dem Schwerter Schuldirektor sagen, dass Angelo Provenzano einer Ironie des Schicksals folgend eine Wäscherei in Corleone eröffnete, »Splendor« – die wenig später wegen Geldwäscheverdachts geschlossen werden musste?
    Danach kümmerte sich Angelo darum, das Geld der Familie in Grundbesitz zu investieren, er hoffte auch einen»Agriturismo« zu eröffnen, einen Landgasthof, der von EU-Geldern finanziert wird. Jedenfalls teilte er das seinem Vater per pizzino mit, jene kleinen Zettelchen, mit denen Bernardo Provenzano mit der Außenwelt kommunizierte. Zettelchen, auf denen Bernardo Provenzano, der ein einwandfreies Italienisch spricht, sich nicht nur
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