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Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)

Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)

Titel: Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
Autoren: Jürgen Schmieder
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Kapitel 1
321835,92 Euro!
    321835,92 Euro.
    Das ist die Strafe, die mein Freund Adam für seine Untaten im Jahr 2012 bezahlen müsste. Er wäre pleite. Ruiniert. Es ist die Summe der Bußgelder und Strafen für Sachen, die er innerhalb eines Jahres angestellt hat.
    321835,92 Euro.
    Er käme vielleicht nicht ins Gefängnis – aber mit einem Bein stünde er im Knast. Aufgrund der Vielzahl der Vergehen wäre es durchaus möglich, dass er wegen mangelnder Einsicht eine Bewährungsstrafe bekommen würde. Sicher allerdings ist: 2013 würde er den zweiten Fuß ins Gefängnis nachziehen. Dieser Verbrecher müsste in den Knast.
    Adam ist kein Verbrecher, er ist noch nicht einmal ein Gauner. Er war noch nie im Gefängnis, er stand in seinem Leben bislang nur als Zeuge vor Gericht, mit Anwälten hatte er nur zu tun, wenn er einen Vertrag für seine Firma aushandeln musste. Er hat ein paar Strafzettel wegen Falschparkens und zu hoher Geschwindigkeit bekommen, als Teenager wurde er mal beim Klauen erwischt – ansonsten jedoch ist Adam ein Vorzeigebürger.
    Einer, wie man ihn sich wünscht.
    Einer, der so ist wie wir.
    Denkt er.
    Denken wir.
    Und der hat innerhalb eines Jahres Verbrechen und Ordnungswidrigkeiten im Wert von 321835,92 Euro begangen.
    Natürlich ist die Summe fiktiv. Sie wäre nur dann real, wenn Adam 24 Stunden am Tag von einem Polizisten begleitet würde und alle Taten zur Anzeige gebracht würden. Wenn also auch dann einer aufgepasst hätte, wenn er sich unbeobachtet gefühlt hat. Menschen machen recht verrückte Sachen, wenn sie sich unbeobachtet fühlen: Sie popeln in der Nase. Sie singen unter der Dusche. Sie brechen das Gesetz.
    Ich habe Adam begleitet und hatte dabei stets Kontakt zu zwei Polizisten, einem Finanzbeamten, einem Beamten auf der Bußgeldstelle, zwei Rechtsanwälten, einem Richter und einem Steuerberater. Es war ein Live-Ticker des Rechts, wir hatten stets sämtliche Informationen zum Vergehen, zum möglichen Verfahren und zur zu erwartenden Strafe im Falle eines Vergleichs, einer Abmahnung oder einer Gerichtsverhandlung. Dann habe ich gerechnet.
    Aufgedröselt sieht das so aus:
    Urheberrechtsverletzungen auf seiner Facebook-Seite: 12000 Euro.
    Andere Urheberrechtsverletzungen: 101795,92 Euro.
    Diebstahl: 100 Euro.
    Steuerhinterziehung: 11200 Euro.
    Versicherungsbetrug: 1490 Euro.
    Schmuggel: 750 Euro.
    Beleidigungen und üble Nachrede: 128000 Euro.
    Delikte im Straßenverkehr: 37500 Euro – wobei in diesem Fall anzumerken wäre, dass er seinen Führerschein für etwa sieben Jahre abgeben müsste, weshalb in den kommenden Jahren in diesem Bereich keine Strafen zu erwarten wären.
    Andere Bußgelder für Ordnungswidrigkeiten wie Zigaretten auf die Straße werfen oder ohne Helm radfahren oder einen Hund ohne Leine im Englischen Garten spazieren führen: 29000 Euro.
    Macht insgesamt 321835,92 Euro.
    Natürlich wird kein Mensch in Deutschland 24 Stunden pro Tag kontrolliert und niemand für all seine Vergehen sofort angeklagt und bestraft. Adam hält sich für einen Menschen, der noch nie in seinem Leben das Gesetz gebrochen hat. Mittlerweile hat er jedoch akzeptiert, dass diese Summe vollkommen in Ordnung ist. Und er behauptet, dass andere noch viel mehr bezahlen müssten.
    Adam hat diese Taten begangen – und nur weil sie niemand kontrolliert hat, werden sie nicht ungeschehen. Und er hat in nicht wenigen Fällen anderen damit geschadet. Irgendjemand muss den Schaden bezahlen – über höhere Steuern, höhere Versicherungsbeiträge oder steigende Kosten für die Reinigung der Straße.
    Den wahren Charakter eines Menschen erkennt man in jenen Momenten, in denen er sich unbeobachtet fühlt.
    321835,92 Euro.
    Das ist eine unfassbare Summe – aber sie stimmt. Anwälte, Polizisten, Richter und Beamte haben sie bestätigt. Adam, der Vorzeigebürger, begeht offensichtlich pro Jahr mehr Verbrechen und Ordnungswidrigkeiten, als er sich leisten kann. Wir alle begehen mehr Verbrechen und Ordnungswidrigkeiten, als wir uns leisten können.
    Aber kaum jemand von uns wird zugeben, ein Verbrecher zu sein. Warum ist die Summe dann nicht 0 Euro?
    Kann man ein Jahr lang überstehen, ohne auch nur ein Gesetz zu brechen oder eine Ordnungswidrigkeit zu begehen? Ist das möglich?
    Ich will es versuchen. Ich möchte ein Jahr lang so tun, als stünde ständig ein Polizist neben mir und würde mich kontrollieren.
    Ich möchte, dass die Summe, die letztlich in meinem Sündenregister vermerkt wird, bei 0 Euro liegt.
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