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Violett ist erst der Anfang

Violett ist erst der Anfang

Titel: Violett ist erst der Anfang
Autoren: Judith Hueller
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während sie sich die schmuddeligen Sneakers von den Füßen kickte, einen Schuh nach links, den anderen nach rechts. »Darf ein Roller da stehen, oder meckert gleich jemand?«
    »Du … äh …« Jule bemühte sich um Fassung. »Woher kennst du meine Adresse?«
    »Mandy weiß alles. Hab sie einfach gefragt.«
    »Aber … was … warum? Ich hab doch …«
    »Migräne, komm, lass stecken.« Lässig warf Ewa ihre Jacke in Richtung Garderobe, verfehlte den Haken, lag die Klamotte eben am Boden, was kümmerte es Frau B., die wühlte bereits in ihrer Umhängetasche. »Jule, irgendwas klemmt bei dir. Gestern brichst du das Interview ab, heute spielst du krank, das passt alles nicht zu dir, das klären wir jetzt. Und was lockert die Zunge besser als der gute Żubrówka?«
    Jules Blick pendelte zwischen Bogacz und der gefährlich aussehenden Flasche. »Schubrrr-was?«
    »Polnischer Wodka. Wird dir gefallen.«
    »Du willst mich abfüllen? Ne, Ewa, nein!«
    »Und ob.«
    »Aber …« In Jules Hirn arbeitete es fieberhaft. »Dein Roller! Lass uns lieber Tee trinken, du musst doch noch fahren und …«
    »Entspann dich. Das Teil gehört mir nicht.«
    »Wie bitte? Willst du sagen, du hast den geklau- äh …« Stopp Schweitzer, keine Ostblockvorurteile. »Ge-geborgt, meine ich?«
    »Genau. Von Tomasz, einem Kumpel von mir. Soll er sich den morgen doch selbst hier abholen. Ich nehme später einfach die Bahn.« Ewa bedachte Jule mit einen kleinen Ellbogenrempler in die Seite. »Und nun los. Hab mir schließlich schon die Schuhe ausgezogen.«
    Und auch sonst schien sich Frau B. auf Anhieb heimisch zu fühlen. Sie kommandierte Jule ab ins Wohnzimmer und verschwand zielsicher in der Küche. Jule fügte sich in ihr Schicksal, setzte sich sprungbereit auf die Kante der Couch und zupfte Fusseln vom lila Überwurf. O-oder ist der … violett? Okay, keine Panik. Einatmen, ausatmen, immer sinnig im Wechsel, und schon erschien Frau B. mit zwei randvoll gefüllten Gläsern.
    »Ewa, willst du uns umbringen? Die Dinger sind für Longdrinks.«
    »Spart Zeit. Müssen wir nicht ständig nachgießen. Und Apfelsaft habe ich nicht gefunden zum Mixen, somit pur. Hier, nimm. Hast du was zum Knabbern da? Chips, Flips, Schoki?«
    »Ich esse nichts Süßes.«
    »Oh. Mist. Hätte ich mir denken können bei deiner Figur.« Seufzend ließ sich Frau B. auf das Sofa plumpsen und stieß schwungvoll mit ihrem Glas gegen Jules. »Prost.«
    Und gute Nacht. Jule durchfuhr ein Ekelschauer, als sich der Sprit ihre Kehle hinunterbiss. Alter Pole, was ein Gesöff. Mühsam unterdrückte sie ein Husten und blinzelte gegen aufsteigende Tränen an.
    »Gut, was?« Ewa freute sich ganz eindeutig an Jules Reaktion. »Schmeckt ein bisschen nach Waldmeister. Oberlecker, ich mag’s.« Ihr Blick blieb an der Wanddeko hängen. Schnappschüsse aus der Schweitzer’schen Musicalzeit. Ewa stand auf und trat näher. »Rechts in den schwarzen Netzstrümpfen, das bist du, richtig? Wahnsinn. An dir ist kein Gramm Fett. Eigentlich müsste ich dich hassen. Welches Stück?«
    » Chicago. Das ist eine Knastgeschichte in den Zwanzigern mit viel Jazz und …«
    »Kenn ich. Ist doch verfilmt worden. Wo war das denn? Ein Festival? Ruhrpott?«
    »In … London«, nuschelte Jule.
    Ewa lachte auf. »Na sicher, Schweitzer. Verscheißer mich ruhig. Als hättest du ein Engagement gehabt auf einer der weltberühmten Bühnen von West End.«
    »Ein Jahr.«
    »Dein Ernst?« Ewas Augen weiteten sich und es verging eine Weile, bis sie weitersprach. »Krass. West End, wow. Aber … Jule, warum zum Geier drehst du für eine Soap? Mit so einer Biografie musst du doch Angebote kriegen ohne Ende, oder?«
    »Ich glaube, ich hab Pistazien.«
    Flucht in die Küche. Jule räumte ihre Teetasse von gestern in die Spülmaschine, faltete einen herumstehenden, leeren Milchkarton in den Gelben Sacke und machte nebenbei Atemübungen. Half nichts. Das Kribbeln in ihrem Körper blieb. Dieser Abend konnte nicht gutgehen. Eine Bogacz im Verhörmodus, bewaffnet mit einem hochprozentigen Schädelspalter. Als Polin konnte Ewa doch kübelweise Wodka bechern, und trotzdem lief alles bestens auf dem Strich, kein Getorkel auf gerader Linie, sensationell. Jule matschte das Zeug dagegen gnadenlos ins Hirn. Ausgerechnet jetzt, wo die Situation ohnehin schon unschön intimer wurde. Statt Pistazien fand sie im Vorratsschrank Grissini, abgelaufene, egal, furztrocken schmeckten die Stangen quasi frisch.
    »Ist dein Bruder jünger oder
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