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Blutschuld

Blutschuld

Titel: Blutschuld
Autoren: Karina Cooper
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KAPITEL 1
    Naomi West war eine verflucht gute Missionarin. Ihre Missionsakte war der Beweis: Unter New Seattles Hexenjägern und -jägerinnen war sie eine der besten.
    Schön zu wissen, dass der Orden des Heiligen Dominikus Vertrauen in sie setzte. Und in den Augen der anderen Agenten der New-Seattle-Mission war sie sowieso die Nummer eins.
    Wenn die Meute aus Missionaren und Ordensoberen allerdings gewusst hätte, wie es sich anfühlte, in Naomi Wests Haut zu stecken   … Wenn sie gewusst hätten, was Naomi West umtrieb und ihren Puls nach oben schnellen ließ bis an den Rand der Hysterie: Sie hätten sie von den Straßen geholt, schneller als eine Kugel ein Hirn zerfetzen kann.
    Die Stimme direkt in Naomi Wests Gehörgang verklang. Die Hexenjägerin presste einen Finger auf den winzigen Com-Stecker in ihrem Ohr, der die Stimme übertrug. Alan Eckhart fuhr fort, die Operationsziele zu umreißen. Seine Stimme wurde immer klarer und schärfer: Die Einweisung für das Einsatz-Team, gleich im Anschluss an die bereits gelaufene Einsatzbesprechung für die New-Seattle-Mission. Blabla, nichts als Scheißblabla.
    Naomis Muskeln vibrierten vor Anspannung, während sie dem lauschte, was der Teamleiter in gleichförmigem Tonfall an Anweisungen herunterspulte. Ihre Augen beschäftigten sich derweil mit dem atemberaubenden Panorama, das der Blick aus dem Fenster der Luxussuite bot. Nicht umsonst lag die teure Suite im obersten Stock des Fünf-Sterne-Resorts.
    Die Jägerin legte die Fingerspitzen an eines der deckenhohen Fenster. Gegen das Licht der untergehenden Oktobersonne hoben sich ihre Hände als Schattenrisse auf der Scheibe ab. Der Sonnenuntergang tauchte die Dunstglocke, die die unteren Ebenen der Stadt einhüllte, in den feurigen Glanz brünierten Messings. Bis in das rattenverseuchte Dreckloch hinunter, das New Seattles kaum zivilisiert zu nennende Fundamente nun einmal waren, sickerte das Licht, um vom allgegenwärtigen Gestank dort verschluckt zu werden. Der größte Teil des Molochs, der sich Stadt nannte, lag so tief unter Naomi, dass ihr Blick nicht bis dorthin zu dringen vermochte. Aber sie brauchte keinen Blickkontakt, um den beißenden Gestank verfaulenden Abfalls, der für die unteren Ebenen charakteristisch war, in der Nase zu haben.
    Kaum erträglich kroch eine Mixtur aus Sorge und Furcht Naomi die Kehle hinauf, als sie sich vom Fenster abwandte.
    »Hör mal, es ist mir scheißegal, was die Missionsbonzen belieben abzusondern!«, blaffte die Hexenjägerin in das winzige Mikro, das zu dem Com in ihrem Ohr gehörte. »Ich für meinen Teil habe keinen Bock darauf, hier oben für alle Ewigkeit festzusitzen. Das ist doch Schwachsinn!«
    »Eine Woche auf den obersten Ebenen, allerhöchstens.« Eckhart bemühte sich um einen beschwichtigenden Tonfall.
    Wie eine Klinge mit Wellenschliff säbelte der Klang der Stimme an Naomis blank liegenden Nerven. »Klar doch! Wenn ich Glück habe«, grummelte sie.
    »Du brauchst kein Glück, Nai. Du bist schließlich gut.«
    Gut   – von wegen! Sie saß in der Falle. Ohne ihre Piercings, geschniegelt und gestriegelt, in Designer-Klamotten verpackt, war sie in diesem verfluchten Goldkäfig eingesperrt.
    »Ich bin besser als gut«, erwiderte sie tonlos. Keine Selbstbeweihräucherung. Nackte Tatsache.
    »Genau. Das ist der Grund, warum die Wahl auf dich gefallen ist.«
    Ach, verflucht, lass mich mit dem Scheißgeschwafel zufrieden. »Abgesehen von einem Sicherheitscheck bei der Ankunft gibt es hierkaum Überwachung. Ich hab dir gleich gesagt, dass diesen Job jeder Idiot machen kann!«
    Eckhart lachte leise. Möglicherweise hustete er auch nur. Naomi war sich nicht ganz sicher.
    »Natürlich gibt’s da keine großflächige Überwachung, Nai. Das ist schließlich eine Oase für die Schönen und Reichen, ein Ort der Erholung und Entspannung«, entgegnete Eckhart trocken, im Hintergrund weißes Rauschen. Naomi erkannte die vertraute Geräuschkulisse der Missionsbüros in den mittleren Ebenen. Genau in einem solchen Büro sollte sie jetzt auch sein.
    Jedenfalls wünschte sie sich verzweifelt dorthin. Tief atmete sie ein und hielt die Luft eine Weile an, ehe sie sie in einem sorgsam dosierten Seufzen wieder ausstieß. »Ich kapiere immer noch nicht, warum Parker nicht jemand anderen nehmen konnte, der sich hierfür verkleidet.«
    »Weil’s niemanden sonst mit deinen Referenzen gibt.« Eckhart seufzte ebenfalls. Es spielte keine Rolle, wie oft sie diese Diskussion führten: Naomi
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