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Verzwickt chaotisch

Verzwickt chaotisch

Titel: Verzwickt chaotisch
Autoren: Bettina Belitz
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durfte das jetzt tun, aber der stellte sich ja tot. Nun begriff auch Herr Rübsam, dass ich wie durch ein Wunder unversehrt geblieben war, und sein »Gott sei Dank« wurde immer unfreundlicher, bis Frau Dangel zu uns stieß und beide damit begannen, im Duett mit mir rumzuschreien. Ich hörte eine Weile stumm zu und verstand zumindest so viel: Sie hatten von Herrn Rübsams Fenster aus gesehen, wie ich auf die Ruinen kletterte, mich dann flach auf den Bauch legte, mich fallen ließ und einen Salto schlug. Ja, in ihren Augen hatte es wie Parkour ausgesehen – allerdings Parkour von der ganz miesen Sorte. Und alle hatten geglaubt, ich hätte diesen Stunt nicht überlebt.
    »Weil man so etwas gar nicht überleben kann«, schloss Herr Rübsam kraftlos. »Du musst eine ganze Armada an Schutzengeln um dich haben, Luzie, weißt du das? So etwas kann man im Grunde nicht heil überstehen …«
    »Kann man schon«, mischte sich Serdan mit brummendem Bass ein – ruhig und freundlich, aber auch unüberhörbar belehrend. Herr Rübsam und Frau Dangel verstummten und schauten ihn an. »Man kann es, wenn man Parkour macht.«
    »Ja, dieses Parking … davon hat Frau Morgenroth erzählt«, murmelte Herr Rübsam verwirrt. »Und nun hat Luzie es schon wieder gemacht, obwohl sie es nicht darf … aber … woher …?« Fragend musterte er Serdan, der nach vorne getreten war, sodass ihn jeder sehen konnte.
    »Wir machen alle Parkour. Seppo, Billy, Luzie und ich. Wir haben es Luzie überhaupt erst beigebracht! Es ist unsere Schuld, dass sie da hochgeklettert ist. Denn wegen uns musste sie mit dem Parkour aufhören, weil …« Seppos scharfer Blick brachte Serdan für einen Moment zum Schweigen. Auch ich wagte nicht zu sprechen.
    »Ist nicht wichtig«, sagte er schließlich wegwerfend. »Ihre Mutter hat es rausgekriegt und Luzie war so nobel, uns nicht mit reinzuziehen. Aber wir stecken da alle drin. Und Luzie lässt sich halt nix verbieten. Sie macht es so oder so. Sehen Sie ja. Auch mitten in der Nacht. Aber wenn Sie jemanden bestrafen wollen, müssen Sie schon uns alle bestrafen. Alle vier. In Ordnung?«
    »Lieber Serdan, wenn du nur ein einziges Mal so viele Sätze hintereinander im Unterricht bilden würdest, müsste ich dir nicht immer eine Vier im Mündlichen geben«, blökte Herr Rübsam. Ich machte mir ein wenig Sorgen um ihn. Er sah aus wie jemand, der sehr lange schlimm krank war und zu früh wieder aufgestanden ist. Und Serdans mündlicher Notendurchschnitt war nun wirklich nicht unser Hauptproblem. Herr Rübsam strich sich über sein schütteres Haar. »Dann macht ihr dieses Parking …«
    »Parkour, Peter!«, verbesserte ihn Frau Dangel mit schneidender Stimme. »Das heißt Parkour!«
    »Sie kennen es?«, rief ich erstaunt und alle sahen mich an, als hätte ich nicht die Erlaubnis, zu sprechen.
    »Ich bin Französischlehrerin, n’est-ce pas?«, fragte Frau Dangel schnippisch.
    »Ich verstehe gar nichts mehr«, kapitulierte Herr Rübsam. »Und ich brauche eine Zigarette. Luzie, tut dir etwas weh?«
    Ich schüttelte den Kopf, obwohl mir sehr wohl etwas wehtat. Mein Herz. Ich konnte Leander hier nicht liegen lassen. So alleine und verletzt. Und doch war es die einzige Chance. Das Verhalten der anderen war der beste Beweis dafür, dass er nicht sichtbar geworden war durch den Alkohol – oder es mittlerweile nicht mehr war. Denn das meiste von dem Teufelszeug hatte er ja wieder ausgespuckt. Ich konnte ihn zu keinem Arzt bringen. Wie sollte ein Arzt jemanden behandeln, den er nicht sah und hörte, sondern nur spürte? Und was würde es für Folgen haben? Nein, ich musste ihn liegen lassen.
    »Gut«, sagte Herr Rübsam und gab sich keine Mühe, das Beben in seiner Stimme zu kaschieren. »Dann gehen wir jetzt zurück in die Burg und reden darüber. Auch wenn es die ganze Nacht dauert.«
    Es dauerte nicht die ganze Nacht, aber lange genug, um sich irgendwann wie die einzigen Menschen auf dieser Welt zu fühlen. Frau Dangel war längst ins Bett gegangen. Die meiste Zeit sprachen Billy und Seppo. Sie erklärten Herrn Rübsam ganz genau, was Parkour war, wer es erfunden hatte und worauf man dabei achten musste. Dass David Belle mich besucht und gefilmt hatte und mich für außergewöhnlich talentiert hielt, aber auch, dass wir seit Wochen nichts mehr gemacht hatten, weil wir diesen Pakt geschlossen hatten. Alle oder keiner.
    »Dann hat Luzie gegen den Pakt verstoßen«, schlussfolgerte Herr Rübsam müde.
    »Eigentlich nicht. Eigentlich
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