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Verzwickt chaotisch

Verzwickt chaotisch

Titel: Verzwickt chaotisch
Autoren: Bettina Belitz
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dich … mein Herz … und auch meine Füße … aber vor allem meine Schulter und mein … aaah …«
    Sein Schlüsselbein. Verdammt, es war gebrochen. Ich spürte es genau – ein kleiner sauberer Riss unter meinen Fingerkuppen. Und es sah so aus, als habe er sich seine Schulter ausgekugelt – wie ich, kurz bevor ich ihn kennengelernt hatte. Sein rechter Arm lag seltsam abgewinkelt auf dem Waldboden.
    Doch er nahm meine Hand mit der Linken und legte sie sich an seine fieberwarme Wange. Etwas Kühles streifte mein Ohr und ich griff automatisch danach. Es war eine von Herrn Rübsams Münzen. Leander hatte bereits ein Lederband hindurchgefädelt.
    »Ein Franc. Von früher. Kein Euro. Sondern eine echte Franc-Münze. Für dich.« Er nahm sie sich ab und legte sie mir um den Hals, obwohl er dabei vor Schmerzen aufkeuchte.
    »Nicht weinen, chérie. Wird alles wieder.«
    »Nein, das wird es nicht!«, heulte ich. »Du bist verletzt, du blöder Idiot! Warum hast du das gemacht? Warum hast du dich in solche Gefahr gebracht?« Ich strich ihm die Haare aus der Stirn. Er öffnete kurz sein Huskyauge, dann folgte das grüne, bevor er beide stöhnend wieder schloss.
    »Ganz einfach, Luzie. Seppo: Traceur. Du warst in ihn verknallt«, erklärte er schleppend. »Bist es immer noch ein bisschen. Serdan: Traceur. Du küsst ihn. Bewunderst ihn. Redest ganz anders mit ihm als mit mir. Also dachte ich, ich muss auch Parkour machen, damit …«
    »Was damit?«, fragte ich scheu, obwohl ich es ahnte. Leander antwortete nicht, sondern legte seine gesunde Hand auf meinen Nacken und zog mich sanft zu sich herunter.
    »Das, chérie.« Er roch nach Pfefferminz und Duschgel und ganz schwach nach Wodka und seine Wimpern kitzelten meine Wange, als meine Lippen seinen Mund berührten, fast wie zufällig, als hätten wir es gar nicht beabsichtigt – und doch fühlte es sich so richtig an, dass ich sie dort ließ, bei ihm, und erstaunt registrierte, wie die schwere, bohrende Last in meinem Magen sich zerstreute und einem wilden Flattern Platz machte, das kein Ende mehr nehmen wollte. Mein Herz tat ein bisschen weh, aber das war okay, ich wollte es nicht anders. Ein wenig wehtun musste es wohl.
    »Ich glaube …«, sagte Leander heiser, die Lippen an meiner Wange. »Ich glaube, ich …« Noch einmal küsste er mich, sanft, aber bestimmt, und ich verstand, was Sofie daran schön gefunden hatte. Doch es war nicht nur schön, nein, es war wie ein kostbarer Schatz, den ich mir immer wieder anschauen und niemals verschenken wollte. Ich wollte nicht einmal davon erzählen. Weil ich im Gegensatz zu Sofie wusste, von wem dieser Kuss stammte. Niemand anderes hätte ihn mir geben dürfen.
    »Luzie … Ich glaube, ich werde ohnmächtig.«
    Und das wurde Leander dann auch. Lag still unter mir auf dem nassen Laub, mit dem Anflug eines Lächelns im Gesicht, und gab keinen Mucks mehr von sich.
    Vom Burghof näherten sich Stimmen. Jetzt sah ich außerdem, dass der Kegel einer Taschenlampe durch das Geäst der Bäume wanderte. Herr Rübsam hatte bemerkt, dass ich getürmt war. Sie suchten mich!
    »Werd wieder wach, Leander, bitte!«, bettelte ich und biss ihm in die Wange, klatschte nasses Laub auf seine Stirn, zwickte seinen Nacken. »Aufwachen! Nur kurz!« Ich hörte mich schon an wie er, wenn er mir mitten in der Nacht etwas vollkommen Unwichtiges erzählen wollte.
    Die Stimmen wurden lauter, vermischt mit Rufen. »Luzie! Luzie, bist du da?«
    »Luzie!« Seppo. Das waren Seppo und Serdan und Herr Rübsam …
    »Leander, bitte! Komm zu dir!«
    »Was ist?«, flüsterte er gequält. »Will ausruhen …«
    »Was soll ich denn jetzt mit dir machen? Die anderen werden mich hier wegholen, wahrscheinlich sehen sie dich nicht, was soll ich nur tun?«
    »Mich liegen lassen. Einfach liegen lassen. Dann werde ich durchsichtig und warte, bis alles nicht mehr wehtut … nicht mehr …« Er wurde erneut bewusstlos.
    »Gott sei Dank, sie lebt! Kommt her, ich hab sie gefunden!«, tönte Herrn Rübsams Rufen durch den Wald. Eine Minute später hatten Seppo und Serdan mich vom Boden hochgezogen und tasteten mich hektisch ab, während Herr Rübsam nicht mehr aufhören konnte, »Gott sei Dank« zu brabbeln. Immer wieder warf ich kurze Blicke zu Leander hinüber, doch seine Ohnmacht hielt an. Er bekam von dem Trubel um ihn herum nichts mit.
    »Alles gut, danke«, sagte ich zerstreut und drückte Seppos und Serdans Hände weg. Ich wollte nicht, dass mich jemand anfasste. Nur Leander
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