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Untitled

Titel: Untitled
Autoren: Andrea Camilleri
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Posten nach dem Schlafsack. Vorsichtig stiegen sie, den Schlafsack in der Mitte, die Rampe hinab.
    Je tiefer sie stiegen, um so schwächer wurde das Licht. Sie kamen an Männern und Frauen vorbei, die Handelsgüter zur Oberfläche trugen und auf dem Rückweg Lebensmittel und Felle mit nach unten nahmen. Einige der Leute erkannten Lord Rorsefne, aber Arflane und der Posten beantworteten keine Fragen und gingen weiter.
    Es dauerte lange, bis sie Lord Rorsefne zu einer Etage getragen hatten, die sich in halber Höhe befand. Glühbirnen brannten; sie bezogen die Energie von derselben Quelle, die die herrschaftlichen Bezirke der Höhlenstadt mit Wärme versorgte. Diese Wärmequelle war der Mittelpunkt der Schlucht und wurde selbst von der nicht abergläubischen Aristokratie von Friesgalt mit Mißtrauen betrachtet. Die Eisbewohner fanden Kälte natürlich. Die Wärme war etwas, das man zum Überleben brauchte. Dennoch hinderte es die Leute nicht daran, in der Wärme etwas Unnatürliches zu spüren. Im Land der Mutter des Eises gab es keine Wärme. Die Wärme konnte das Eis vernichten, was nur das Unheilvolle der Wärme unter Beweis stellte. Ganz unten auf dem Boden der Schlucht sollte die Hitze, so erzählte man sich, eine geradezu unwahrscheinlich hohe Temperatur erreichen.
    Die Familie Lord Rorsefnes bewohnte eine ganze Etage der Stadt auf beiden Seiten der Schlucht. Eine Brücke verband beide Bezirke. Die beiden Männer mußten diese Brücke, die schwankte und sich durchbog, überqueren. Auf der anderen Seite wartete ein Mann mittleren Alters, der die gelbe Dienertracht des Hauses Rorsefne trug.
    »Was habt ihr da?« fragte der Mann ungeduldig. Anscheinend glaubte er, daß Arflane und der Posten Händler seien, die etwas verkaufen wollten.
    »Das ist Ihr Herr«, sagte Arflane mit einem leichten Lächeln. Er hatte die Genugtuung, den Gesichtsausdruck des Dieners zu sehen, als dieser den Mann im Schlafsack erkannte.
    Bereitwillig half der Diener ihnen durch die niedrige Tür, über der das Wappen der Rorsefnes zu sehen war. Sie gingen noch durch zwei weitere Türen, bevor sie die Eingangshalle erreichten.
    Es war eine große, helle Halle mit Leuchtröhren in den Wänden. Der Raum war überheizt. Arflane begann sofort zu schwitzen. Er schob seine Kapuze zurück und lockerte die Schnüre seines Pelzmantels. Die Halle war luxuriös möbliert. Arflane hatte noch nichts dergleichen gesehen. Gemalte Wandbekleidungen hingen an den Felswänden, und selbst hier in der Halle gab es Stühle aus echtem Holz, die mit echtem Stoff gepolstert waren. Arflane sah ein, daß Leder – wie fein es auch immer gegerbt sein mochte – niemals so weich und zart sein konnte. Das Mobiliar war Hunderte von Jahren alt und stammte aus einer Zeit, in der es noch eine Vegetation gegeben hatte, nicht nur in den warmen Teichen und dem ›Ozean‹ einer blasphemischen Legende. Arflane wußte, daß die Welt fast völlig vom Eis umschlossen war und die warmen Teiche sowie die Felsenhöhlen, die menschliches und tierisches Leben gestatteten, nach dem Willen der Mutter des Eises sich ebenfalls in Eis verwandeln würden. Denn Eis war der natürliche Zustand. Der Diener verschwand und kam in Begleitung eines Mannes wieder, der so groß wie Arflane war. Er hatte ein hageres Gesicht und hellblaue Augen. Seine Haut war weiß, so als wäre er noch nie aus den Tiefen der Stadtschlucht herausgekommen. Er trug eine weinrote Joppe und enganliegende schwarze Hosen aus weichem Leder. Arflane fand, daß er einen kraftlosen Eindruck machte.
    Jetzt trat der Mann neben Rorsefne und blickte nachdenklich auf ihn herab. Dann hob er den Kopf und sah Arflane und den Posten mürrisch an. »In Ordnung«, sagte er. »Sie können gehen.«
    Der Mann konnte nichts dafür, daß er solch eine Stimme und solch eine Betonung hatte, aber beides ärgerte Arflane. Er wandte sich zum Gehen. Er hatte damit gerechnet, wenigstens ein paar Dankesworte zu hören. Nicht daß er irgendwelchen Wert darauf legte.
    »Nicht Sie, Fremder«, sagte der hagere Mann. »Ich meinte den Posten.«
    Der Posten ging, und Arflane beobachtete die Diener, die den alten Mann wegtrugen. Er sagte: »Ich möchte meinen Schlafsack später zurückbekommen«, und blickte dabei den Mann an. »Wie geht es Lord Rorsefne?« fragte der Hagere beiläufig.
    »Vielleicht muß er sterben. Zumindest aber verliert er einige Finger und Zehen.«
    Der andere Mann nickte mit ausdruckslosem Gesicht. »Ich bin Janek Ulsenn«, sagte er, »der
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