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Untitled

Titel: Untitled
Autoren: Andrea Camilleri
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größten Teil der Zeit mit Spaziergängen auf der Oberfläche, wo ihn vor allem die großen Segler interessierten. Er sprach absichtlich nicht im Haus der Rorsefnes vor und wartete, daß man statt dessen mit ihm Kontakt aufnahm. Obwohl er Janek Ulsenn nicht leiden konnte, verstand er ihn besser als die anderen Friesgalter, mit denen er zusammengetroffen war. Ulsenn war kein typischer Vertreter der modernen Aristokratie von Friesgalt, bei denen der starre und hochmütige Ehrenkodex ihrer Vorfahren nicht mehr sehr hoch im Kurs stand. In den anderen, ärmeren Städten der alten Traditionen wurden sie noch respektiert, obwohl die einflußreichsten Kaufleute nicht annähernd die Macht von Familien wie den Rorsefnes und Ulsenns hatten. Arflane bewunderte Ulsenn bestenfalls deshalb, weil er an den alten Traditionen festhielt. In dieser Beziehung hatte er mit Ulsenn einiges gemeinsam. Arflane haßte die Zeichen einer allmählichen Veränderung seiner Umgebung, die er beiläufig wahrgenommen hatte. Man lebte nicht mehr nach so strengen Normen, und es war als ein Zeichen der Zeit zu werten, daß Arflane in der Stadt so etwas wie ein Held geworden war. Noch vor einem Jahrhundert hätte man in ihm einen Schwächling gesehen; jetzt gratulierte man ihm – und er verachtete seinerseits die Leute. Er wanderte ernsten Gesichts in der Stadt herum und wich den Leuten nach Möglichkeit aus. Es hatte sich herausgestellt, daß nicht alle Friesgalter rauh und barbarisch waren, aber das kümmerte ihn herzlich wenig. Am dritten Tag seines Aufenthalts sah er sich mit grollender Bewunderung die Ice Spirit an.
    Als er unter einem straffen Ankertau hinwegduckte, rief jemand herunter: »Hallo, Kapitän Arflane!«
    Er blickte zögernd nach oben. Ein blondbärtiges Gesicht sah über die Reling.
    »Wollen Sie nicht mal an Bord kommen und sich das Schiff ansehen, Sir?«
    Arflane schüttelte den Kopf. Doch eine Lederleiter baumelte schon dicht vor ihm. Eigentlich wollte er sich nicht mit den Friesgaltern anfreunden, aber er brannte darauf, seine Füße auf das Deck eines Seglers zu setzen, der beinahe eine Legende war.
    Er kletterte nach oben und schwang sich über die Reling. Der bärtige Mann begrüßte ihn lächelnd. Er trug ein Wams aus weißem Bärenfell und eine graue Seehundfellhose, beinahe die komplette Uniform der friesgaltischen Schiffsoffiziere. »Ich dachte, Sie würden sich das Schiff gern ansehen wollen, Kapitän.« Der Mann lächelte ungezwungen, und seine Stimme hatte nicht jenen geringschätzenden Klang, den Arflane erwartet hatte. »Mein Name ist Petchnyoff, Zweiter Offizier der Ice Spirit .« Er war, für einen Zweiten Offizier, verhältnismäßig jung. Bart und Haare waren blond und weich und verliehen seinem Gesicht ein leicht albernes Aussehen. Doch seine Stimme klang energisch. »Darf ich Sie herumführen?«
    »Danke«, sagte Arflane. »Aber sollten Sie nicht zuerst Ihren Kapitän fragen?« Wenn er auf einem Schiff das Kommando hatte, pflegte er darauf zu bestehen.
    Petchnyoff lächelte. »Die Ice Spirit hat keinen Kapitän im eigentlichen Sinne. Normalerweise steht sie unter dem Kommando von Lord Rorsefne oder von jemandem, dem er die Kommandogewalt übertragen hat, wenn er an Bord ist. Ich bin sicher, daß es ihm sehr recht ist, wenn ich Ihnen das Schiff zeige.«
    Arflane mißbilligte dieses System. Seiner Meinung nach mußte ein Schiff einen ständigen Kapitän haben, einen Mann, der den größten Teil seines Lebens auf diesem Schiff verbrachte; nur so konnte er es in- und auswendig kennenlernen. Der Segler hatte drei Decks – Haupt-, Mittel- und Achterdeck –, dann gab es noch zwei Oberdecks. Sie waren, wie der Rumpf, aus einem Glasfibermaterial. Auch der größte Teil des Schiffsaufbaus war aus diesem Material. Einige Türen und Luken waren ausgebessert worden. Man hatte dazu große Elfenbeinstücke verwendet und außerdem Verzierungen hineingeschnitzt. Das Elfenbein war schon gelb geworden. Die Nylonsegel waren mit Lederstreifen ausgebessert worden. Arflane blickte nach oben. Die Masten waren so hoch, daß sie in die Wolken zu ragen schienen. Der Segler befand sich in einem erstklassigen Zustand, wie er feststellte.
    Petchnyoff stand neben Arflane und blickte ebenfalls nach oben. »Es wird bald schneien«, meinte er.
    Arflane nickte. Nichts liebte er mehr als einen richtigen
    Schneesturm. »Das Schiff sieht sehr ordentlich aus«, sagte er. Petchnyoff grinste. »Zu ordentlich, meinen Sie nicht auch? Nun, wir müssen
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