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Shiva Moon

Shiva Moon

Titel: Shiva Moon
Autoren: Helge Timmerberg
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1.   Die Maus wohnt im Wasserfilter
    Es gibt drei Möglichkeiten, in New Delhi anzukommen: die spottbillige, die superteure und das «La Sagrita». Ich habe alle drei Hotels schon ausprobiert. Jedes hat seine Schwächen. Das spottbillige in der Bahnhofsgegend kostet fünf Dollar die Nacht, und das Zimmer hat einen kleinen Balkon zur Straße, auf der Leute schlafen und Hunde bellen und Katzen streunen. Es ist nicht sauber, aber das Personal ist lieb, und sie organisieren warmes Bier, egal, wann du kommst. Das ist der Haken beim Landen in Delhi. Es ist immer nach Mitternacht, weit nach Mitternacht, aber noch nicht nah genug am Morgen, du landest in einer schlafenden Stadt, das Taxi fährt durch Geisterstraßen. Nur du kannst nicht pennen. Jetlag in einem Loch mit warmem Bier und hoffentlich noch ausreichend Zigaretten, nein, es stehen ein paar widerliche Stunden bevor, wenn man in einem der billigen Hotels am Bahnhof eincheckt. Widerlich im Sinne von widerlichen Gedanken. «Mein Gott, was willst du hier? Was hast du aus deinem Leben gemacht, dass du noch immer auf diesem Niveaureist?» Als Siebzehnjähriger schmeckt das abenteuerlich, mit fünfzig ist es schwer deprimierend.
    Die zweite Möglichkeit, in New Delhi anzukommen, ist das «Imperial». Das schönste Hotel der Welt, eine Mischung aus Mogul und Kolonial, Maharadscha und Offizier, Turban und Krone, Schönheit und Macht. Mein letztes Gespräch am Mahagonitresen der Rezeption verlief so:
    «How much is the room?»
    «Single or double, Sir?»
    «Single.»
    «Two hundred and eighty US only, Sir.»
    Das «only» war nicht ironisch gemeint, das sagen sie immer, nach jedem Preis. Alles in Indien kostet irgendwas «only», außerdem sind zweihundertachtzig Dollar für ein Hotel wie das «Imperial» im internationalen Vergleich tatsächlich «only», aber für mich war das die Hälfte meiner Miete zu Haus. Und für den Jungen an der Rezeption war es ein Monatsgehalt. «Okay», sagte er. «Two hundred US, Sir, last price.»
    Ich fragte ihn, ob die Bar noch geöffnet habe, denn ich müsse mich betrinken, um diesen Preis zu akzeptieren, und nachdem ich drei Gin Tonic intus hatte, war ich wieder bei ihm.
    «Now you are ready, Sir?»
    Er war mir sympathisch. Ich checkte in ein großes Zimmer ein, das wie ein Museum für Agatha Christies Reisen möbliert war, und sogar der Flaschenöffner war da. Kennen Sie das, wenn in den Fünfsternehotels der Flaschenöffner fehlt? Nein, er war da.
    Die problematische Seite des «Imperial» ist nicht nur der Preis für das Zimmer, es sind die Folgekosten,die einem auf die Nerven gehen. Selbst die Marlboros sind in dem Tabakshop des Hotels fünfundzwanzig Rupien teurer als überall sonst auf dem Subkontinent. Und praktisch jeder will Trinkgeld. Damit wir uns nicht missverstehen: Ich liebe es, Trinkgeld zu geben, aber nicht so häufig, wie ich ein- und ausatmen muss. Und nicht für nichts. Dass einer seinen Schnurrbart bis zu den Ohren zwirbeln kann, ohne dabei den Turban zu verlieren, ist für mich noch kein Trinkgeld wert.
    Das «La Sagrita», die dritte Möglichkeit, in Delhi anzukommen, begrenzt die Anzahl der zu tippenden Mitarbeiter auf maximal vier Personen, die Preise sind fair (fünfzig bis siebzig Dollar), in direkter Nachbarschaft finden sich kleine Parks und hübsche Villen, das Ganze nennt sich Sunder Nagar und ist New Delhis beste Kolonie. Das städtebauliche Konzept von Kolonien ist einfach. Es gibt eine große Mauer, es gibt Tore mit Wachen, dahinter wohnt die gehobene Mittelklasse in ruhigen Straßen. Die griechische Botschaft, die Asien-Redaktion der ARD, solche Nachbarn hat das «La Sagrita». Und es hat einen großen Garten und grundsätzlich angenehme Gäste, aber leider hat es wenig Zimmer. Und ist immer ausgebucht. Immer. Außerdem sollte man sich an die Ankunftszeiten interkontinentaler Flüge in Delhi erinnern. Plus die Stunde, die man braucht, um das «La Sagrita» zu erreichen. Als ich das letzte Mal dort war, fand ich den Mann an der Rezeption in tiefem Schlaf. Ich riss ihn da heraus. Der schnellste Weg, wieder einzuschlafen, war, mich abzuweisen. Mich einzuchecken hätte zehnmal so lange gedauert, zwanzigmal so lange, wenn ich ehrlich bin.
    «Sorry, Sir, fully booked» hatte für seine Ohren einen beruhigenden Klang. Für meine Ohren nicht. Niemand will das hören nach einem Zehnstundenflug und mitten in der Nacht, und als er mich fragte, warum ich nicht reserviert hätte, sagte ich: «Das ist eine gute Frage.
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